Doch zuerst wurde bei unserer Stippvisite gesungen, sonst eher Schlager, aber anlässlich des außergewöhnlichen Besuchs auch mal Lieder von Peter Kraus oder ein Twist. Mit im Schlepptau hatte das Redaktionsteam Sebastian Jacob, den 21-jährigen Stürmer, der im letzten Heimspiel sein erstes Tor erzielte und sogar den Siegtreffer kurz vor dem Schlusspfiff auf dem Fuß hatte.
Sebastian war erstaunt über die Größe des Chors und mit welchem Enthusiasmus hier gesungen wird. Circa 120 Sänger waren gekommen. „Addiert man alle Lebensjahre zusammen, kommen wir auf über 10.000 Jahre. Und die Leut‘ haben richtig Pfeffer“, schwärmte Dodt voller Stolz. Doch bevor es um den Rock’n’Roll ging, durften alle erst mal den Jungprofi ausfragen.
Er schwärmte vom unglaublichen Moment, vor der Westkurve sein erstes Tor zu feiern. Dass Sebastian aus dem Saarland stammt, sorgte für freundschaftliches Gelächter. Es folgten die typischen Frotzeleien über unsere Nachbarn im Westen. Dass der Youngster sich in der Zukunft zum Stammspieler hocharbeiten und mit dem FCK aufsteigen will, sorgte natürlich für viel Applaus. Und dass er trotzdem im Fernstudium Wirtschaftswissenschaften studiert, brachte ihm weitere Sympathiepunkte ein.
Und dann rockte der Betze wortwörtlich: Sebastian schnappte sich die Gitarre und begleitete die Senioren. „Mit 66 Jahren“ sangen alle voller Inbrunst. Das Diakonissenhaus bebte. Außer Gitarre kann der Fußballprofi übrigens auch Klavier spielen. Danach holte sich jeder ein Autogramm und die Rock’n’Roll-Fragerunde wurde eröffnet. Die Chormitglieder erzählten aus ihren Erinnerungen, jede Wortmeldung löste weitere Anekdoten aus, gemeinsam kam immer mehr von der guten alten Zeit zurück ins Gedächtnis. Der NCO Club auf der Vogelweh war damals Sonntagabends frei zugänglich, während es an anderen Tagen oder auch im Officer Club in Ramstein von Nöten war, dass ein Amerikaner für den Gast bürgte. Eine Chorteilnehmerin erzählte, dass sie dort den ersten Platz in einem Rock’n’Roll-Tanzkurs gemacht habe. Der nächste bekam immer mächtig Ärger mit seinem Vater, wenn er sich einen „Sechser“ in die Stirn gekämmt hatte. Erstaunt waren die Chorkollegen, als ein Anwalt in dieser Runde offenbarte, dass er 1958 bei den Amerikanern als Barmixer gearbeitet habe, allerdings nur im Tagdienst. Aber so konnte er all den fantastischen Bands, die damals dort spielten, beim Proben zuhören.
Dass der Rock’n’Roll hierzulande von der älteren Generation komplett abgelehnt wurde und somit immer im Untergrund stattfand, darin waren sich alle einig. Dass das in England ganz anders war, wusste ein weiteres Chormitglied zu berichten. Nach einem Gottesdienst räumte dort eine englische Jugendgruppe die Bänke auf die Seite und die Jugendlichen tanzten zusammen mit ihren deutschen Austauschschülern in der Kirche zu Rock’n’Roll-Rhythmen – in Deutschland zur damaligen Zeit undenkbar. Eine weitere Anekdote ereignete sich in der Fruchthalle. Als dort auf der Bühne vorgetanzt wurde, erwies sich das Dekolleté der Tanzpartnerin als zu groß für die heißen Rhythmen – eine ganz eigene und wohl auch nachhaltige Erinnerung an den Rock’n’Roll. Geübt wurde der neue Stil auch in den Tanzschulen, so zum Beispiel in der Tanzschule Zöller, wo einst 1957 zu Bill-Haley-Klängen gerockt wurde, wusste eine Dame zu berichten.
Die damaligen Lokalitäten durften in den Erzählungen natürlich auch nicht fehlen: das Blaulicht in Münchweiler/Alsenz, „es Hache“ in Erfenbach, der Partyclub in der Marktstraße, das „Tabu“ in einem Keller im Altenhof, das „Moulin Rouge“ in der Mühlstraße, das Café Bauer, die Roccoco Bar, die Palette Bar oder das verruchte Café „Stadt Wien“ in der Richard-Wagner-Straße.
Viele Lokale in der Stadt boten Livemusik, meist aber nicht mit heimischen Musikern, sondern mit Bands, die gewöhnlich für vier Wochen in der Stadt blieben und dann weiter zogen. Ansonsten waren natürlich die Musikbox oder der amerikanische Sender AFN die Quellen der neuen Musik.
Nach all den Erinnerungen waren die Chormitglieder voll im Rock’n’Roll-Fieber und stimmten ungeprobt „Rock Around The Clock“, Bill Haleys ersten großen Hit, an. Schnell war man sich einig: Eine Rock’n’Roll-Show soll entstehen. Der Funke des rockenden Betze war am Stadtpark angekommen und zum Abschluss sangen und tanzten alle zu Chubby Checkers Hit „Let’s Twist Again“. Eine 80-Jährige, die eindrucksvoll zeigte, dass sie den Twist noch nicht verlernt hat, verriet: „Ich brauche keinen Arzt mehr, seitdem ich hier singe.“ Der Chorname ist also Programm: „Forever Young“.
Der Autor: Jens Vollmer ist Begründer und Saxophonist der im Großraum bekannten Band Brass Machine. Er betrieb zwölf Jahre das bundesweit mit Regionalteilen erschienene Musikmagazin „Feedback“, im Anschluss das Kaiserslauterer StadtmagazinINSIDER“. Seit Anfang 2013 ist er verantwortlicher Redakteur des Wochenblatts Kaiserslautern.
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