Die lange Reihe der Bundesliga-Gastspiele des FC Bayern München in Kaiserslautern begann am 23. April 1966 mit Blasmusik und bunter Folklore. Vor der Begegnung drehten eine Blaskapelle sowie eine Gruppe fescher Dirndln und strammer Buam in Trachtenanzügen eine Runde im Stadion. Sie führten dabei ein Spruchband mit sich, auf dem zu lesen war: „Bayern und Pfalz – Gott erhalt´s.“
Es folgte ein Spiel voller Hektik und mit unsportlichen Szenen sowie vier Feldverweisen –drei davon für den FCK. Vor den Augen von Bundestrainer Helmut Schön, der nicht nur die jungen Bayern-Stars wie Beckenbauer, Maier und Müller, sondern auch den glänzenden Lauterer Mittelfeldakteur Jürgen Neumann für höhere Aufgaben beobachten wollte, ließ sich ausgerechnet Neumann nach einer Spuck-Attacke zu einem Kopfstoß hinreißen und erhielt folgerichtig Platzverweis. Diese einseitige Bestrafung durch Schiedsrichter Herden vergiftete die Atmosphäre und führte zu weiteren Unsportlichkeiten.
Manfred Rummel konnte zwischenzeitlich die Führung der Münchener ausgleichen, doch gegen nur noch acht Lauterer kam der FC Bayern letzten Endes zu einem 2:1-Auswärtssieg. Die besonderen Umstände dieses Spiels sowie einige eher „undiplomatische“ Äußerungen von Bayern-Spielern und Vereinsfunktionären empörten die Anhänger der Roten Teufel. Das Feindbild für die FCK-Fans war somit geboren. In den Folgejahren gab es für die Pfälzer bei den Bayern meistens deutliche Niederlagen, aber auf dem Betzenberg konnten auch drei Siege gefeiert werden. Kurios war im Jahr 1969 das 0:0 in Kaiserslautern, denn gleich drei Tore des FCK wurden wegen „Abseits“ nicht anerkannt. Zumindest bei Beckenbauers lupenreinem Eigentor lag Schiedsrichter Regely mit seiner Entscheidung ziemlich daneben.
Die Saison 1973/74 brachte für den FCK einen neuen Trainer, Erich Ribbeck und zwei interessante neue Spielerpersönlichkeiten: den Routinier Herbert Laumen sowie den schwedischen Nationalstürmer Roland Sandberg, der in den Folgejahren ein besonders erfolgreicher und geachteter Spieler auf dem Betzenberg werden sollte. Nach einem eher schwachen Saisonstart hatte sich Ribbecks Mannschaft bis zum Herbst 1973 gut eingespielt und für erfreuliche Auswärtssiege gesorgt. Zum 20. Oktober wurde der FC Bayern München erwartet – und wie viele FCK – Anhänger hoffte auch ich damals auf ein besseres Ergebnis als beim vorangegangen Auswärtsspiel in München, denn da waren wir sang- und klanglos mit 0:6 untergegangen, wobei Gerd Müller fünf Tore hintereinander erzielen konnte.
Natürlich hatte ich gehörigen Respekt vor den Bayern, die mit vielen klangvollen Namen wie Maier, Beckenbauer, Schwarzenbeck, Roth, Hoeneß und natürlich „Bomber“ Müller den Betzenberg stürmen wollten. Bereits nach einer Viertelstunde gab es unter uns FCK-Fans lange Gesichter, denn da führte der FC Bayern bereits mit 2:0 und spätestens nach dem 3:0 durch Gerd Müller deutete vieles auf eine Wiederholung des letzten Debakels hin. Das 3:1 durch Seppl Pirrung war kurz vor dem Halbzeitpfiff ein wenig Balsam für unsere geschundenen Seelen, doch nach dem 4:1 zu Beginn der zweiten Halbzeit durch Gerd Müller schwand jegliche Hoffnung auf wenigstens ein Unentschieden dahin und die ersten Zuschauer verließen enttäuscht das Stadion.
Mit einem Kopfballtreffer Klaus Toppmöllers sendeten unsere Roten Teufel aber ein Lebenszeichen – und die Fans feuerten ihre Mannschaft wieder an. Der FC Bayern, der den Spieler Gersdorff inzwischen durch Feldverweis verloren hatte, sah sich nun einem couragiert angreifenden FCK entgegen, wobei vor allem über die rechte Seite dank des an diesem Tag überragenden Seppl Pirrung immer wieder Gefahr für das von Sepp Maier gehütete Tor entstand. Und dieser Seppl Pirrung war es auch, der innerhalb von zehn Minuten mit zwei herrlichen Toren den Ausgleich erzielte.
Ich verfolgte das Spiel von der Nordostecke der Ostkurve aus und war fassungslos vor Freude, als der FCK einen Angriff nach dem anderen vortrug und sechs Minuten vor Spiel-ende (ja, die ominöse 84. Minute…) Ernst Diehl nach beherztem Nachsetzen gar die Führung herausschießen konnte. Auf dem Spielfeld und auf den Tribünen gab es Knäuel von hüpfenden und jauchzenden Menschen – aber es sollte noch besser kommen. Gegen die völlig demoralisierten Bayern gelangen in den Schlussminuten Herbert Laumen noch zwei weitere Treffer zu jenem 7:4, das in der ohnehin traditionsreichen Geschichte des 1. FC Kaiserslautern einen ganz besonderen Platz eingenommen hat.
Durch Kampfgeist und unbändigen Willen konnten die Roten Teufel die großen Bayern bezwingen – und somit sportliche Revanche für manche schmerzhafte Niederlage in der Vergangenheit nehmen. Für das Selbstwertgefühl von Spielern und Fans war es ein besonders kostbarer Erfolg. Ich erinnere mich, dass der Jubel unter den etwa 35 000 Zuschauern im Stadion kein Ende nehmen wollte – doch auf dem Rückweg die Malzstraße hinunter war es seltsam ruhig. Die meisten Zuschauer mussten das Erlebte erst einmal verarbeiten, ehe dann in der Stadt unten die Freude wieder lautstark zu vernehmen war. Etwa acht Monate später jubelte ich allerdings jenen Spielern zu, für die ich an jenem legendären 20. Oktober 1973 reichlich Schadenfreude empfunden hatte. Da konnte ich im Olympiastadion zu München das Weltmeisterschafts-Endspiel 1974 gegen die Niederlande miterleben und mich über gelungene Aktionen von Franzl und über das Siegestor von Gerd Müller herzlich freuen.
Wer das Museum des 1. FC Kaiserslautern im Fritz-Walter-Stadion besucht, kann die elf Tore aus dem „Jahrhundertspiel“ auf großem Bildschirm und in Farbe bewundern und sich nach 40 Jahren noch einmal über diese sensationelle Begegnung freuen.
Vielen Dank an Hans Walter von der Initiative Leidenschaft Fritz-Walter-Museum e. V. für seine Erinnerungen!
1. FC Kaiserslautern – FC Bayern München 7:4 (1:3)
1. FC Kaiserslautern: Elting – Huber, Diehl, Schwager, Fuchs – Toppmöller, Bitz, Laumen – Pirrung, Sandberg, Ackermann
FC Bayern München: Maier – Hansen, Schwarzenbeck, Beckenbauer, Dürnberger – Zobel, Roth, U. Hoeneß, Gersdorff – Hoffmann, Müller
Schiedsrichter: Bonacker (Quadrath-Ichendorf)
Tore: 0:1 Gersdorff (3.), 0:2 Gersdorff (12.), 0:3 Müller (36.), 1:3 Pirrung (43.), 1:4 Müller (57.), 2:4 Toppmöller (58.), 3:4 Pirrung (61.), 4:4 Pirrung (73.), 5:4 Diehl (84.), 6:4 Laumen (87.), 7:4 Laumen (89.)
Gelbe Karten: Bitz – Gersdorff
Zuschauer: 35.000