Am 31. Oktober 2021 wäre Fritz Walter 101 Jahre alt geworden. Zu diesem besonderen Jubiläum gedenken Hans Walter und Matthias Gehring diesem besonderen Menschen, der nicht nur im deutschen Fußball, sondern in der ganzen Republik Spuren hinterlassen hat.
Rund 160 Fotos umfasst die Sonderausstellung „Das Wunder von Kaiserslautern. Fritz Walter zum 100. Geburtstag“, die aufgrund der Corona-Pandemie erst seit dem 22. September 2021 im FCK-Museum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnte. 160 Fotos mit umfangreichen textlichen Erläuterungen, die den Versuch wagen, das facettenreiche Leben und Wirken des welt-berühmten Fußballers nachzuzeichnen. Bei der Fülle dessen, was den Ausnahmefußballer und außergewöhnlichen Menschen auch über dessen Tod hinaus auszeichnet, kann dies nicht vollumfänglich gelingen. „Iwwerleg mol, was de Fritz alles gemacht un erlebt hat un wo der schun iwwerall war“, resümierte kürzlich ein eher jüngeres Fan-Pärchen im FCK-Museum ehrfurchtsvoll die zusammengetragenen Bilddokumente beim Betrachten der Stellwände der Sonderausstellung. Keine seltene Begebenheit, wobei die zitierten Museumsbesucher ob ihres Alters Fritz Walter sicher nie selber haben spielen sehen.
Doch auch Besucher älterer Generationen, die sich als Zeitzeugen glücklich schätzen dürfen Fritz Walter vielleicht sogar schon einmal begegnet zu sein, geraten beim Besuch des FCK-Museums immer wieder ins Schwärmen. Dort beugt sich eine ältere Dame über eine der Schauboxen. Sie betrachtet die ausgestellten Fotos, die Fritz Walter beim Schreiben von Grußbotschaften auf die Sohlen von Mini-Fußballschuhen sowie einige der kleinen Schuhe zeigen, auf deren Unterseite noch der Schriftzug des großartigen Fußballers zu erkennen ist. Die Dame lächelt und beginnt zu erzählen, wie sie im Alter von 16 Jahren den großen Fritz Walter nach einem Spiel der FCK-Traditionsmannschaft kennengelernt hat. Seine Natürlichkeit und Freundlichkeit hätten ihr schnell über ihre Verlegenheit hinweggeholfen, als sie um ein Autogramm bat. Sie erhielt ein Foto von Fritz mit einer persönlichen Widmung, das sie heute noch als wertvolle Erinnerung aufbewahrt.
Solche Erinnerungen an persönliche Begegnungen mit Fritz Walter sind in den Räumen der FCK-Museumsausstellung oft zu hören und die Hochachtung und Bewunderung, die aus all diesen Erzählungen spricht, schenken uns ein viel runderes Bild von der Persönlichkeit Fritz Walters, als eine Aufzählung seiner Erfolge und der vielen Ehrungen, mit denen er im Laufe seiner Karriere und danach bedacht worden ist.
Fritz Walter wurde am 31. Oktober 1920 in Kaiserslautern als erstes von fünf Kindern des Ehepaares Ludwig und Dorothea Walter geboren. Seine erste Begegnung mit dem Fußballspielen hatte Fritz, als er auf der Straße mit seinen Geschwistern und Kindern aus der Nachbarschaft „Kanälches“ spielte und mit großem Geschick ein kleines Gummibällchen, leere Konservendosen oder zusammen-gewickelte Stoffballen in die Öffnung eines Gullis jonglierte. Die Freizeitgestaltung jener Zeit machte früh das überragende Talent des kleinen Fritz beim Umgang mit allem, was wie ein Ball anmutete sichtbar und forcierte seine Liebe zum Fußballsport. Sein Vater war es, der den ältesten Sprössling schließlich beim FV Kaiserslautern anmeldete, der 1931 in „1. FC Kaiserslautern“ umbenannt wurde. In der Schülermannschaft des 1. FC Kaiserslautern machte er mit seiner unnachahmlichen Technik und Ballbeherrschung schon bald auf sich aufmerksam. Nach seiner Schulzeit begann er eine Ausbildung zum Bankkaufmann, die er mit einem Einser-Zeugnis abschließen konnte. In diese Zeit fiel auch seine „Mastkur“ bei der Metzgerfamilie Speyrer, mit der den Bedenken des Mannschaftsarztes ob der schwächlichen Konstitution des jungen Fußballers entgegengewirkt wurde.
Nach seinem erfolgreichen Berufsabschluss bekam er eine Anstellung bei der Stadtsparkasse Kaiserslautern, wo er bis zu seiner Einberufung zur Wehrmacht arbeitete. Kaum 18 Jahre alt, wurde er in der ersten Mannschaft des FCK eingesetzt und bald ereilten ihn Berufungen in Auswahlmannschaften des Südwestens. Fritz Walters Torjägerqualitäten und seine Spielintelligenz führten zu einer Empfehlung des für den Fußball-Südwesten zuständigen Obmannes Karl Hohmann an Reichstrainer Sepp Herberger. Prompt erfolgte die Einladung zu einem Lehrgang mit der Nationalmannschaft – und am 14. Juli 1940 konnte Fritz Walter in Frankfurt zu seinem ersten Länderspiel auflaufen und sich gleich mit drei Treffern in die Torjägerliste eintragen. Auf Anhieb war er Stammspieler der deutschen Nationalmannschaft geworden.
Inzwischen hatte der Zweite Weltkrieg Europa erschüttert und auch der junge Nationalspieler Fritz Walter wurde zur Wehrmacht eingezogen. Er konnte zwar weiterhin für seinen FCK spielen, wurde aber schließlich nach Lothringen abkommandiert, wo er einige Zeit für Diedenhofen (Thionville) zum Einsatz kam. Einige Begegnungen bestritt er überdies mit der „Pariser Soldatenelf“. Im Herbst 1942 hatte sich die Kriegssituation derart verschärft, dass die Länderspiele eingestellt werden mussten. Gegen die Slowakei absolvierte Fritz sein 24. und vorerst letztes Länderspiel für Deutschland. Auch er selbst konnte damals nicht ahnen, dass es neun endlos lange Jahre dauern würde, bis er zu seinem 25. Spiel mit der Nationalmannschaft auflaufen konnte.
Der Krieg war Fritz Walter zuwider. Seine Versetzung 1943 nach Italien, auf die Insel Sardinien, brachte ihm eine Infektion mit der tückischen Krankheit Malaria; fortan machte ihm heißes Klima immer zu schaffen. Was Fritz Walter damals nicht wusste, war die Tatsache, dass hinter den Kulis-sen zwei „Schutzengel“ in Gestalt des Reichstrainers Herberger und des erfolgreichen Jagdfliegers und Geschwaderkommodore Hermann Graf die Versetzung des Infanteristen Walter zur Luftwaffe und zur Einheit Grafs nach Ostfriesland betrieben und durchgesetzt haben. Fritz konnte nach Deutschland zurückkehren und alsbald in der von Hermann Graf aufgestellten Soldatenmannschaft auch wieder Fußball spielen. Für Fritz Walter schien es wie ein Wunder, dass er in Zeiten des „Totalen Krieges“ mit den „Roten Jägern“ an vielen Orten wieder dem Fußball nachjagen durfte.
Kurz vor Kriegsende ergab sich die Einheit des Obersten Hermann Graf den Amerikanern, die aber zum Entsetzen Fritz Walters und seiner Kameraden an die Sowjets ausgeliefert und in ein riesiges Gefangenenlager auf rumänischem Boden, Marmaros-Sziget, gebracht wurde. Erneut war es der Fußball, der den durch Krankheit geschwächten und deprimierten Fritz Walter rettete. Durch Zufall geriet er in Kontakt zu Fußball spielenden Männern des Wachpersonals, die ihn mit Duldung des russischen Lagerkommandanten in ihre Mannschaft aufnahmen. Wieder Fußball spielen zu können, war für Fritz ein wahres Lebenselixier. Eine weitere wunderbare Fügung wollte es, dass er in dem Gefangenenlager seinen Bruder Ludwig treffen konnte. Als das Lager aufgelöst und Zehntau-sende deutscher Soldaten in endlosen Transporten nach Sibirien abtransportiert wurden, beschied der Kommandant, dass Fritz und sein Bruder Ludwig mit den im Lager festgesetzten Franzosen, Belgiern und Luxemburgern nach Westen zu schicken seien. Da Kaiserslautern in der französischen Besatzungszone liegen würde, seien die Walters demnach Franzosen! Ein unbürokratischer Anflug von Menschlichkeit inmitten einer apokalyptisch anmutenden Perspektivlosigkeit!
Fritz Walter und seinem Bruder blieb eine ungewisse Zukunft in einer langen Gefangenschaft er-spart. Im Oktober 1945 gelangten Fritz und Ludwig wohlbehalten in ihre Heimatstadt zurück. Fritz Walter begann umgehend, sich um den FCK und das Zusammenstellen einer neuen Mannschaft zu kümmern. Nach und nach kehrten frühere Mitspieler aus der Gefangenschaft zurück und bildeten mit jungen Talenten die zunächst von Fritz Walter trainierte „Walter-Mannschaft“, die in den nach-folgenden 13 Jahren Fußballgeschichte schreiben sollte. Ein erster Erfolg war 1947 der Gewinn der Meisterschaft in der französischen Besatzungszone. Schon ein Jahr später konnte sogar wieder eine deutsche Meisterschaft mit der Begegnung 1. FC Kaiserslautern gegen den 1. FC Nürnberg ausgetragen werden. Der FCK unterlag dem Club mit 1:2, hinterließ aber einen hervorragenden Eindruck. Von existenzieller Wichtigkeit waren in dieser bitterarmen Nachkriegszeit auch die sogenannten „Kartoffelspiele“ gegen Vereine aus ländlichen Regionen der Pfalz, bei denen die Einsatzprämie aus dringend benötigten Grundnahrungsmitteln bestand.
Fritz Walter war in all diesen Jahren die überragende Spielerpersönlichkeit seines FCK und ab seinem ersten Nachkriegs-Länderspieleinsatz auch der deutschen Nationalmannschaft. Fünfmal stand Fritz mit seinem FCK in einem deutschen Meisterschaftsendspiel, zweimal, 1951 und 1953, konnte er mit der Meisterschale nach Kaiserslautern zurückkehren. Der alles überstrahlende Triumph folgte 1954 mit dem Gewinn der Weltmeisterschaft in der Schweiz, zu der Sepp Herberger neben Fritz Walter noch vier weitere Akteure des FCK aufgeboten hatte. Für Fritz Walter und seine Kameraden war dieser sensationelle Gewinn des Endspiels gegen die vermeintlich unbesiegbare „Wundermannschaft“ aus Ungarn, das „Wunder von Bern“, der strahlende Höhepunkt ihrer Laufbahn als Fußballspieler. Angebote, für immense Summen bei ausländischen Vereinen zu spielen, lehnte Fritz Walter wiederholt ab. Auch 1958 gehörte Fritz Walter noch zur deutschen Nationalmannschaft, die beim WM-Turnier in Schweden den achtbaren vierten Platz belegen konnte. 1959 beendete der Ausnahmefußballer schließlich im Alter von knapp 39 Jahren endgültig seine aktive Fußballerlaufbahn. Mit seiner Frau Italia zog er in den Sechzigerjahren ins nahe Alsenborn und wirkte als Repräsentant verschiedener namhafter Firmen, besuchte für die Sepp-Herberger-Stiftung Gefängnisse und war Autor mehrerer erfolgreicher Fußballbücher.
Fritz Walter erfuhr für seine Leistungen mannigfache Ehrungen. Er wurde mit den höchsten Auszeichnungen seines FCK versehen, das Betzenberg-Stadion erhielt seinen Namen, er wurde zum Ehrenspielführer der deutschen Nationalmannschaft ernannt, er erhielt das Bundesverdienstkreuz und die Ehrenbürgerschaft seiner Heimatstadt Kaiserslautern und des Landes Rheinland-Pfalz. Am 17. Juni 2002 ist Fritz Walter in Alsenborn verstorben. Seine letzte Freude war noch mitzuerleben, wie Kaiserslautern den Zuschlag als Austragungsort für die WM 2006 in Deutschland erhielt, wofür er sich in seinen beiden letzten Lebensjahren engagiert eingesetzt hatte.
Aber Fritz Walter ist nicht nur seiner großartigen sportlichen Erfolge wegen im kollektiven Gedächtnis lebendig geblieben. Es waren seine persönliche Integrität, seine Kameradschaftlichkeit, seine Heimat- und Vereinstreue, seine Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft und insbesondere seine große Bescheidenheit, die ihn zum zeitlosen Idol haben werden lassen. Auch für die nachfolgende Generation. Fritz Walter hat Werte vorgelebt, die für den FCK nach wie vor eherne Gültigkeit besitzen. In aufgewühlten Zeiten wie heute vielleicht mehr denn je. Das Fritz Walter gewidmete Muse-um des 1. FC Kaiserslautern sieht es als zentrale Aufgabe, die Erinnerung an diesen außergewöhnlichen Fußballspieler und Menschen wach zu halten und seine kostbaren Ideale und Werte auch zukünftigen Generationen zu vermitteln und zu verdeutlichen. Aber auch noch immer unerforschte Fragen rund um die Vita Fritz Walters zu beantworten, gehören zu den Herausforderungen, denen sich die Akteure rund ums FCK-Museum gerne stellen.
hw / mg