Am Dienstag, 18. Januar 2022, hätte Werner Liebrich seinen 95. Geburtstag gefeiert. Auch knapp 27 Jahre nach seinem Tod bleibt der Weltmeister von 1954 in Kaiserslautern unvergessen. Hans Walter vom FCK-Museumsteam blickt auf einen großen Sportler zurück, der viel mehr war als nur ein Mitglied der legendären Walter-Elf.
Am 1. Juli 1962 ist beim 1. FC Kaiserslautern unwiderruflich eine glanzvolle Ära zu Ende gegangen. Mit dem Intertoto-Spiel des FCK bei der ungarischen Mannschaft Tatabánya beendete mit Werner Liebrich der letzte der noch in Lautern aktiven fünf Weltmeister von 1954 seine Fußballerlaufbahn. Der damals 35-jährige Werner Liebrich konnte auf eine überragende Karriere zurückblicken.
In nicht weniger als 355 Oberliga-Pflichtspielen hatte er als Mittelläufer die Abwehr des 1. FC Kaiserslautern ausgezeichnet organisiert, war er mit seiner Mannschaft neun Mal Südwestmeister geworden, in fünf Endspiele um die Deutsche Meisterschaft eingezogen und zwei Mal – 1951 und 1953 – mit der Meisterschale in seine Heimatstadt zurückgekehrt. Gegen Ende seiner Karriere gab er nach dem Ausscheiden der anderen Weltmeisterspieler Werner Kohlmeyer, Ottmar und Fritz Walter sowie Horst Eckel der jungen FCK-Mannschaft als Kapitän Halt und Orientierung und erreichte mit der noch unerfahrenen Truppe 1961 das Endspiel um den DFB-Pokal, das jedoch mit 0:2 gegen Werder Bremen verloren wurde.
Auf den disziplinierten, zweikampf- und kopfballstarken Mittelläufer war auch Bundestrainer Sepp Herberger längst aufmerksam geworden und 1951 berief er Werner Liebrich erstmals in die deutsche Nationalmannschaft. Bis 1956 absolvierte Liebrich 16 Länderspiele im Trikot des DFB und 1954 gehörte er – mit den vier weiteren Akteuren vom FCK – zum deutschen Aufgebot für das Weltmeisterschaftsturnier in der Schweiz.
Bei der 3:8-Niederlage der deutschen „B-Mannschaft“ gegen den großen WM-Favoriten Ungarn, die damals beste Mannschaft der Welt, hatte Liebrich seinen ersten Einsatz während der Weltmeisterschaft 1954. Dabei unterlief ihm gegen den ungarischen Stürmerstar Ferenc Puskas ein Foulspiel, bei dem Puskas am Knöchel verletzt wurde. Von einem Teil der Presse wurden – vor allem in offiziellen SED-Publikationen in der DDR – Liebrich Bösartigkeit und Unsportlichkeit unterstellt. Doch Liebrich sollte genügend Gelegenheiten haben, der Welt zu beweisen, dass er seine Defensivaufgaben mit fairen Mitteln zu erfüllen verstand.
In der Viertelfinalbegegnung gegen die spielstarke Mannschaft aus Jugoslawien bot Werner Liebrich eine überragende Abwehrleistung und besaß somit hohen Anteil am 2:0-Erfolg des deutschen Teams, das nun im WM-Halbfinale gegen Österreich stand. Liebrich hatte sich somit als Abwehrchef der deutschen Mannschaft etabliert, die sich in einem ausgezeichneten Spiel gegen Österreich mit 6:1 den Einzug in das Endspiel sicherte.
Der sensationelle 3:2-Triumph der deutschen Elf gegen die ungarische „Wundermannschaft“ im Berner Wankdorfstadion war für Werner Liebrich strahlender Höhepunkt einer großartigen Karriere. Seine Duelle mit Ferenc Puskas verliefen dabei sauber und fair. Internationale Journalisten bezeichneten ihn nach dem Turnier wegen seiner präzisen Kopfbälle, seines großen Kampfgeistes, seines intelligenten Stellungsspiels, seiner Übersicht und seiner Fähigkeit, aus der Abwehr mit überlegtem Zuspiel einen Angriff der eigenen Mannschaft einzufädeln, als „besten Stopper der Welt“.
Als am 1. Dezember 1954 die deutsche Nationalmannschaft im Londoner Wembley-Stadion ein Freundschaftsspiel gegen England mit 1:3 verlor, hinterließ auf deutscher Seite der rotblonde Werner Liebrich den stärksten Eindruck. Britische Medienvertreter titulierten ihn damals als „the lion of Wembley“ – der Löwe von Wembley.
Alle seine Erfolge hatte sich Werner Liebrich indes hart erarbeiten müssen, nichts ist ihm in den Schoß gefallen, nichts wurde ihm geschenkt.
Werner kam am 18. Januar 1927 als zweiter Sohn eines Stukkateurs zur Welt. Die Familie, zu der auch Werners um etwas mehr als drei Jahre älterer Bruder Ernst gehörte, war in dem Kaiserslauterer Arbeiterviertel „Kotten“ zuhause. Die Kindheit von Ernst und Werner wurde im Herbst 1933 durch die Verhaftung und Verurteilung ihres Vaters wegen „feindseliger kommunistischer Propaganda“ gegen Hitlers NS-Staat erheblich getrübt. (Er hatte Flugblätter verteilt und war deswegen denunziert worden.) Die 22-monatige Haft des Vaters bedeutete für die beiden Jungen ein traumatisches Ereignis.
Mutter Erna Liebrich tat trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten und demütigender Behandlung durch die Behörden alles, was in ihren Kräften stand, ihre Buben vor der Ächtung als „Kinder eines politisch Unzuverlässigen“ zu bewahren. Sie achtete darauf, dass Ernst und Werner eifrig lernten und gute Schulzeugnisse erhielten, nähte ihnen Sportsachen und sorgte dafür, dass sie im Verein Fußball spielen konnten. Während Bruder Ernst bereits 1941 in der Aktivenmannschaft des 1. FC Kaiserslautern zum Einsatz kam, absolvierte Werner 1944 als Siebzehnjähriger seine ersten Spiele in der „Gauliga Westmark“.
Wehrdienst und Kriegsende überstanden die beiden Brüder unversehrt – und der bereits im Oktober 1945 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft heimgekehrte Nationalspieler Fritz Walter konnte somit beim Aufbau einer neuen FCK-Mannschaft auf Ernst und Werner Liebrich zählen; als der „Große Fahrer“ und der „Kleine Fahrer“ gehörten sie fortan zu den wichtigsten Stützen der legendären „Walter-Mannschaft“. 1948 standen beide beim ersten Endspiel um die Deutsche Meisterschaft gegen den 1. FC Nürnberg auf dem Rasen des Kölner Stadions. Dieses Spiel ging zwar verloren, in den nachfolgenden Jahren aber sollte der FCK zur überragenden Mannschaft im deutschen Fußball aufsteigen und zwei Mal deutscher Meister werden.
Mutter Erna Liebrich war es nicht vergönnt, die großen Erfolge ihrer beiden Söhne mitzuerleben. 1949 verstarb sie – viel zu früh.
1958/59 zeichnete sich das Ende der „Walter-Mannschaft“ ab; Ernst Liebrich und weitere Meisterspieler hatten ihre Laufbahn bereits beendet, 1959 nahmen auch Ottmar und Fritz Walter Abschied vom Fußballsport und ein Jahr später wechselte Horst Eckel aus beruflichen Gründen in das saarländische Völklingen.
Als letzter aktiver Weltmeister blieb Werner Liebrich, nunmehr Kapitän der „Roten Teufel“, seinem 1. FC Kaiserslautern erhalten. An ihm, der weiterhin in vielen Spielen wie ein starker Fels in der Brandung seiner Abwehr Sicherheit verlieh, konnten sich in dieser Zeit des Umbruchs und Neuaufbaus die jungen Nachwuchstalente orientieren und aufrichten.
Wie wertvoll Werner Liebrich in der schwierigen Übergangszeit zwischen der Walter-Mannschaft und der Einführung der Bundesliga war, verdeutlicht ein Spiel der damaligen Oberliga Südwest vom 11. März 1962 auf dem Betzenberg. An diesem Sonntag gastierte die Mannschaft von Mainz 05 in Kaiserslautern. Der FCK galt in dieser Begegnung als klarer Favorit, denn die Mannschaft um Werner Liebrich konnte sich kurz vor Ende Saison noch Chancen auf den zweiten Tabellenplatz ausrechnen. Doch das Spiel gegen die Elf aus Mainz lief nicht nach dem Wunsch der Roten Teufel und ihrer Anhänger. Bis zur Halbzeit führten die „Nullfünfer“ bereits mit 2:0 Toren. Vor allem im Angriffsspiel des FCK knirschte an diesem Nachmittag Sand im Getriebe, das Zusammenspiel wollte nicht gelingen und überdies hatte Schedler im Tor der Mainzer einen ausgezeichneten Tag erwischt und vereitelte einige gute Chancen der Lautrer.
Zu allem Überfluss verletzte sich Läufer Gerd „Butzel“ Schneider und konnte nur noch als Statist auf Rechtsaußen agieren. Derart geschwächt musste der FCK die Endphase des Spiels bestreiten. Unverdrossen setzten die Roten Teufel ihre Bemühungen um eine Verbesserung des Resultates fort. Vor allem Werner Liebrich schien zu spüren, dass das Spiel noch nicht verloren war. Der rotblonde Mittelläufer gab lautstarke Anweisungen an seine jüngeren Kameraden, seine Gestik und Mimik waren eindeutig: Kämpft Männer, alles nach vorne!
Aber erst in der 83. Minute gelang Winfried Richter das längst fällige Anschlusstor zum 2:1. Nun hielt es den Weltmeister-Stopper nicht mehr im Abwehrzentrum, nein, Werner Liebrich stürmte energisch mit. Und der „Kleine Fahrer“ wurde prompt belohnt: Mit einem sehenswerten Drehschuss erzwang er in der 85. Minute den Ausgleich – 2:2.
Die zuvor unzufriedenen Zuschauer unterstützten ihren FCK nun lautstark – und zwei Minuten vor Spielende fädelte Werner Liebrich erneut einen Angriff ein – der Ball kam zu Settelmeyer und der erzielte das erlösende 3:2 für Kaiserslautern. Die Freude war riesengroß, denn in Unterzahl wurde ein verloren geglaubtes Spiel noch gewonnen. Aber jeder wusste, wem dieser Erfolg zu verdanken war: Werner Liebrich. Mit seiner Routine und Übersicht, mit seinem unermüdlichen Einsatz hatte er als mitreißendes Vorbild seine junge FCK-Mannschaft auf die Siegesstraße geführt.
Knapp drei Monate später endete die Ära Werner Liebrich beim 1. FC Kaiserslautern. Die FCK-Anhänger verabschiedeten Werner mit viel Wehmut und der bangen Frage, ob in der Saison 1962/63 die neu formierte Mannschaft ohne ihren Kapitän und Weltmeister den Sprung in die künftige höchste Spielklasse, die Bundesliga, schaffen würde…
Werner Liebrich hätte noch mindestens ein Jahr länger Fußball spielen können, denn ein kanadischer Erstligaclub bemühte sich intensiv um den Lauterer Weltmeister und legte ihm ein verlockendes Angebot vor. Aber Liebrich, der zunächst als Postbeamter tätig war, sich 1956/57 in der Eisenbahnstraße ein stattliches Wohn- und Geschäftshaus gebaut hatte und schließlich als Geschäftsmann selbstständig wurde, lehnte die Offerte ab und verfolgte andere Pläne. Er erwarb die Trainerlizenz und stellte sich seinem Verein als Jugend- und Amateurtrainer zur Verfügung. Als 1965 der FCK in Abstiegsgefahr geriet und man sich von Trainer Brocker trennte, gestaltete Liebrich für mehrere Wochen die Trainingsleitung der Bundesligamannschaft und sicherte mit ihr den Klassenerhalt. Später trainierte er die FCK-Amateure – und er übernahm in seiner Stadt Verantwortung und ließ sich für die SPD in den Stadtrat von Kaiserslautern wählen.
Als vorbildlicher, unermüdlicher Kämpfer und kompromissloser Abwehrstratege ist Werner Liebrich seinen zahlreichen Anhängern und Bewunderern in Erinnerung geblieben. Aber der Mann, der nach außen hin oft hart wirkte, war in Wirklichkeit sehr verletzlich und er besaß ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden. Sein mitunter sarkastisch anmutender Humor war wohl eine Art Schutzschild für seine Psyche.
Sehr viel hat Werner Liebrich in seinem Leben erreicht – einen Kampf jedoch hat er verloren, den Kampf gegen eine tückische Infektionskrankheit, die ihm seit der WM 1954 in der Schweiz immer wieder zu schaffen gemacht hatte. So waren ihm schließlich zu wenige Jahre an der Seite seiner lieben Frau Anne-Marie in seinem Wohnhaus vergönnt, ehe er am 20. März 1995 im Klinikum Kaiserslautern im Alter von nur 68 Jahren verstarb.
Auch mehr als ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod hat Werner Liebrich nichts von seiner Popularität eingebüßt, besitzt sein Name immer noch Strahlkraft, ist er eines der großen Idole geblieben, die mit ihrer Vereinstreue und Bodenständigkeit das Ansehen und den Ruhm des FCK mitbegründet und gemehrt haben.
Zu seinem 95. Geburtstag erinnern wir uns in Dankbarkeit eines ganz großen Fußballsportlers und eines aufrichtigen Menschen.