Seine Knie sind noch etwas weich. Seine Stimme zittert leicht. Aber seine Augen strahlen vor Freude und Begeisterung. Der 24-jährige Bastian Schulz hat sich soeben einen großen Traum erfüllt. Es ist nicht der erste in seinem Leben und wenn man seinem Worten Glauben schenken darf, wird es auch nicht der letzte gewesen sein.
Der Himmel ist leicht bedeckt, als wiram Flugplatz Saarlouis ankommen. Hektisches Treiben bestimmt die Szenerie, denn im Saarland werden gerade die Deutschen Meisterschaften im Fallschirmsport ausgetragen und alles was in diesem Sport in Deutschland Rang und Namen hat, ist ins beschauliche Grenzstädtchen gereist. Pascal Schu empfängt seinen Gast mit offenen Armen. Schu ist Geschäftsführer der Fallschirmsportschule Saar und wird den Fußballprofi heute in ungeahnte Höhen entführen. Bastian Schulz träumt seit langem davon, einmal Fallschirm zu springen und dieser Wunsch soll nun in Erfüllung gehen.Auf dem Weg von Kaiserslautern ins Saarland gesteht er zwar ein, dass ihm durchaus mulmig wurde bei dem Gedanken, aus 4.000 Metern Höhe in die Tiefe zu springen, doch ist es eher tiefer Respekt vor der vor ihm liegenden Herausforderung, als lähmende Angst, was ihn umtreibt.
Bastian Schulz ist kein Träumer. Er hat sich in seiner Karriere immer wieder realistische Ziele gesetzt und diesen konsequent zugearbeitet. Seit der D-Jugend spielte der gebürtige Hannoveraner bei „96“. Natürlich stand damals auf seinem Wunschzettel, einmal für die Profi s der Roten auflaufen zu dürfen und im heimischen Stadion von den Fans in der Nordkurve angefeuert zu werden. Als es dann soweit war, bekam er vom Ereignis gar nicht soviel mit. „Ich kam zur Halbzeit gegen Arminia Bielefeld rein und hatte gar keine Zeit, so richtig aufgeregt zu sein. Es bleibt halt immer Fußball: Du kommst rein, bist mitten im Spiel und voll konzentriert und nimmst nicht wirklich war, ob du vor 100 oder 40.000 Zuschauern spielst“, erinnert sich Schulz, „als ich dann in der kommenden Saison erstmals von Anfang an aufgelaufen bin, war das schon ganz anders. Ich war die ganze Zeit mit dabei und Stuttgart ist auch kein ganz schlechter Gegner.“
Für Schulz änderte sich mit diesem Einsatz im März 2008 alles. Plötzlich gehörte er fest zum Profikader, trainierte komplett mit den Lizenzspielern und war jedes Wochenende unter den 18 Auserwählten, die dem Kader für die Bundesligapartien angehörten. Dem ersten Einsatz und der Premiere in der Anfangsformation folgte bald der erste Treffer, von dem der Mittelfeldspieler auch heute noch mit einem Glänzen in den Augen berichtet: „Es war gegen Hamburg, ein Nordderby. Ich gewinne einen Zweikampf im Mittelfeld, spiele auf Jan Schlaudraff, gehe mit und bekomme den Ball wieder, er springt einmal auf und weil ich am weitesten vorn war, habe ich einfach drauf geschossen. Eigentlich habe ich den Ball gar nicht optimal getroffen, aber er ging aus etwa 25 Metern rein und wir haben das Spiel gewonnen. Als ich nach dem Spiel zu meinem Vater kam und er mich voller Stolz ansah und umarmte, war ich rundum glücklich“, lässt er den Treffer Revue passieren.
Mittlerweile wird er von seinen Fallschirmsprung-Lehrern eingewiesen und angekleidet. Neben Geschäftsführer Schu kümmert sich Tandemmaster Jürgen Weber um ihn. An Webers Schirm soll Bastian Schulz später den Sprung absolvieren und so hört der Fußballer dem Sprungprofi aufmerksam zu. Sorgfältig prüfen beide die Ausrüstung und Weber erklärt dem Niedersachsen jeden Karabinerhaken, jede Schlaufe und das vor ihm liegende Prozedere. Schulz ist nun sichtlich aufgeregt und kann seine Anspannung kaum mehr verbergen. Als es mitsamt Schirm, Mütze und Brille zum Flugzeug geht, blickt er ein ums andere Mal um sich. Doch er bleibt stark und steigt mit den geübten Springern ins Flugzeug ein. Zwölf Minuten soll der Aufstieg der Propellermaschine andauern, bis die Sprunghöhe von 4.000 Metern erreicht ist. Es gibt kein Zurück mehr.
23 Bundesligaspiele nach seinem Debut entschloss sich Bastian Schulz, seinen Heimatverein zu verlassen. Er ging ohne Groll, findet aber, „dass es Zeit war, den nächsten Schritt zu machen. Bei Hannover wäre ich immer der Nachwuchsspieler aus den eigenen Reihen geblieben. Ich wollte aber mehr Verantwortung übernehmen, sowohl auf als auch neben dem Platz. Also erschien mir ein Wechsel nur logisch.“ Er hörte sich einige Angebote an, sprach mit Clubs aus der ersten und zweiten Liga, bis er in Stefan Kuntz den perfekten Gesprächspartner fand. „Das Konzept beim FCK hat mir imponiert. Ein echter Traditionsverein mit fantastischen Fans im Rücken, bei dem Aufbruchstimmung herrscht und mit dem man echt was erreichen und aufbauen kann“, erläutert er seine Eindrücke, „mir fiel letztlich die Entscheidung nicht schwer, als mit Marco Kurz auch noch der richtige Trainer verpflichtet wurde.“ 4.000 Meter über dem Flugplatzgelände verlassen die ersten Springer die Maschine. Pascal Schu filmt den FCK-Profi während des Aufstiegs, klettert vor dem Schirm-Tandem aus der Maschine und bannt den Auftritt des Fußballers auf Filmmaterial. Über 2.000 Sprünge hat Schu hinter sich, seit 2,5 Jahren führt er die Fallschirmsportschule und ist stolz, dass in diesem Jahr der Fallschirmsportverband Saar, mit 250 Mitgliedern der größte Verband Deutschlands, die Meisterschaft ausrichtet. Den Tandemsprung des Fußballprofis haben sie gern mit ins dicht gedrängte Programm genommen, denn die Begeisterung des Sprunglehrers ist ansteckend und eine perfekte Werbung für seinen Sport. Sorgfältig wird jeder Gesichtsausdruck von Bastian Schulz und sein gesamter Flug aufgezeichnet. Als er am Boden ankommt, schreit er seine Begeisterung mit aller Kraft hinaus. „Wahnsinn“, entfährt es ihm, „das war unbeschreiblich.“ Es dauert seine Zeit, bis er die richtigen Worte findet. „Den Sprung aus dem Flugzeug bekommst du gar nicht richtig mit. Der freie Fall ist der absolute Wahnsinn. Das geht durch Mark und Bein. Zuerst befolgst du die Anweisungen des Tandemmasters ganz genau. Wenn er dann den Fallschirm geöffnet hat, so bei 1.500 Metern über dem Boden, hat man das erste Mal etwas Gelegenheit, das alles richtig wahrzunehmen. Ein fantastisches Erlebnis – das mache ich auf jeden Fall nochmal.“ Es sprudelt aus ihm heraus. Der freie Fall, das Schweben im Schirm und die spektakuläre Landung geht er Schritt für Schritt noch einmal durch. Findet immer neue Superlative und schmiedet Pläne, wann er das nächste Mal einen Sprung in Angriff nehmen möchte.
Auf dem Platz ist Bastian Schulz immer im Zentrum des Geschehens. Er ist der zentrale Mittelfeldspieler im System des neuen Coachs Marco Kurz neben Georges Mandjeck. Beide sollen sowohl defensive als auch offensive Aufgaben übernehmen, was Schulz als positive Herausforderung versteht. „Georges, Jiri und ich spielen jetzt seit wenigen Wochen zusammen und dafür klappt das Zusammenspiel schon ganz gut. Wir wissen, das und was wir verbessern müssen, aber jeder von uns hat das Potenzial, die Position so auszufüllen, wie der Trainer sich das vorstellt und wie es dem Erfolg der Mannschaft dient.“ Die Diskussion über einen klassischen „Zehner“ findet er etwas veraltet, zudem hat er in Hannover früher häufig den offensiven Part übernommen und fühlt sich dem ebenso gewachsen, wie er es seinen Kollegen zutraut. „In Braunschweig hat man gesehen, zu was die Mannschaft mit ihrem Willen fähig ist. Wir sind schon nach wenigen Wochen zu einer Einheit gewachsen und auch die neuen Spieler wie ich wurden schnell integriert.“ In Hannover absolvierte Schulz eine Lehre zum „Kaufmann für Bürokommunikation“. „Die Stelle habe ich mir selbst gesucht und keine Hilfe vom Verein in Anspruch genommen“, erzählt er, „früh morgens, von sechs bis halb zehn, habe ich gearbeitet, dann trainiert, wieder gearbeitet und am Nachmittag dann wieder trainiert. Das war manchmal schon recht hart, hat mir aber auch geholfen, die richtige Perspektive und Einstellung zu meinem Beruf zu bekommen. Ich hatte einen geregelten Tagesablauf und nicht nur Fußball im Kopf.“ Um ihn auf dem Boden zu halten, half auch sein Elternhaus. Vater Schulz ist Berufsfeuerwehrmann und dient dem jungen Bastian auf vielen Ebenen als Vorbild. Sein jüngerer Bruder hat zwar ebenfalls viel sportliches Talent aber keinen großen Ehrgeiz und trotz Karrieremöglichkeiten im Fußball und Hockey baute er auf eine Lehre bei einer Bank. Zu guter Letzt ist es seine Mutter, die ihn immer wieder an die wesentlichen Dinge im Leben erinnert. Auf dem Flugplatz Saarlouis schauen Pascal Schu und Bastian Schulz nun das Video des Sprungs gemeinsam an. Jede Phase des Sprungs gehen sie noch einmal durch, kommentieren sie oder lachen laut auf, wenn Lehrer oder Schüler wieder einen komischen Gesichtsausdruck auf den Bildschirm zaubern. Sie wirken beinahe wie alte Bekannte. Solche Erlebnisse scheinen zu verbinden. Schulz ist also auch hier angekommen. Mit seiner verbindlichen und unkomplizierten Art hat sich der Kämpfer nach wenigen Spielen schon einigen Respekt bei den FCK-Fans erarbeitet. Sein Lachen und seine Begeisterung haben auch bei den Fallschirmspringern viel Respekt eingebracht. Der junge Hannoveraner ist flügge geworden und hat sein behagliches Nest verlassen. Bei den Roten Teufeln wird er sich beweisen, zum Führungsspieler wachsen und sich einen weiteren Traum erfüllen. So viel ist sicher.