Der frühere FCK-Profi Lutz Eigendorf wäre am Freitag, 16. Juli 2021, 65 Jahre alt geworden. Auch 38 Jahre nach seinem Tod steht sein Name noch für viel Ungewisses. Hans Walter vom FCK-Museumsteam erinnert sich an den DDR-Nationalspieler, seine Flucht in den Westen und seinen ungeklärten Tod.

Er gehörte zu den ganz großen Talenten des Fußballs in der DDR, der am 16. Juli 1956 in Brandenburg an der Havel geborene Lutz Eigendorf. Mit dem Fußballspielen begann er im Alter von acht Jahren bei der BSG Motor in seiner Heimatstadt, besuchte von 1970 bis 1973 die Kinder- und Jugendsportschule Berlin und wurde in die Nachwuchsabteilung des DDR-Spitzenclubs BFC Dynamo Berlin aufgenommen. Eigendorf durchlief die für die DDR-Jugend üblichen Organisationen, versah seinen Zivildienst bei der VoPo und leistete seinen Wehrdienst bei einem Wachregiment. Zwischen 1973 und 1975 hatte er seiner Altersklasse entsprechend erste internationale Auftritte in den DDR-Juniorennationalmannschaften.

Ab 1974 wurde er als hochkarätiger Nachwuchsspieler in der ersten Mannschaft des BFC Dynamo eingesetzt. Der antrittsschnelle, zweikampfstarke und technisch versierte Eigendorf bestritt bis zum März 1979 nicht weniger als 100 Oberligabegegnungen für den Berliner Vorzeigeclub, 1978 wurde er in die DDR-Auswahlmannschaft berufen, mit der er binnen eines Jahres sechs Länderspiele absolvierte.

Lutz Eigendorf galt als „politisch zuverlässig“, er konnte – wie auch andere DDR-Spitzensportler – gewisse Privilegien genießen; er gründete mit seiner Gabriele eine Familie und wurde Vater.

Doch Eigendorf hatte Träume und Wünsche, von denen in seinem Umfeld niemand etwas ahnte. Er sehnte sich nach einem Leben und einer Karriere im Westen. Der Gedanke, dem Überwachungs- und Drangsalierungsstaat DDR entfliehen zu können, nahm wohl in dem Momente konkrete Formen an, als Eigendorf von dem für den 20. März 1979 geplanten Freundschaftsspiel seines BFC Dynamo im Westen – in Kaiserslautern! – erfuhr. Er wollte die Gelegenheit nutzen, seiner Heimat den Rücken zu kehren. Ehefrau und Tochter würde er zu einem späteren Zeitpunkt nachholen – ein naiver Gedanke!

Der BFC Dynamo Berlin gastierte also am 20. März 1979 auf dem Betzenberg.

Tags darauf traten die Berliner per Omnibus die Rückreise an. Dabei legte man in Gießen noch eine Pause ein. Lutz Eigendorf nutzte diese einzigartige Chance und bestieg in einem günstigen Moment ein Taxi und ließ sich nach Kaiserslautern fahren. Er kannte niemanden in der fremden Stadt, aber er hatte das Glück, beim damaligen Geschäftsführer des FCK abgesetzt zu werden, bei Norbert Thines.

Thines war sich der ganz besonderen Brisanz dieses Vorganges durchaus bewusst und zeigte sich als hervorragender Krisenmanager, der alles tat, um den knapp 23-jährigen Flüchtling zu schützen und vor der Öffentlichkeit zu verbergen.

Während die Presse im Westen mit großen Schlagzeilen von der „Flucht des Beckenbauers der DDR“ berichtete, hielt man in der DDR den Ball flach. In einem kleinen Artikel erfuhren die Fußballfreunde jenseits von Mauer und Stacheldraht lediglich, dass ein BFC-Spieler bei einem Gastspiel im Westen für Geld angelockt und zur Republikflucht veranlasst wurde.

Der 1. FC Kaiserslautern bot den Ostberlinern eine Ablösesumme von 100.000 DM an, was von Dynamo selbstverständlich abgelehnt wurde. Eigendorf wurde von der FIFA für ein Jahr gesperrt. Er arbeitete in dieser Zeit als Aushilfe auf der Geschäftsstelle des FCK, erwarb den B-Trainerschein und trainierte die B-Jugendmannschaft des FCK. Manche Spieler dieses Teams rühmen heute noch Lutz Eigendorf als einen der besten Trainer, den sie je erlebten.

Im Frühjahr 1980 erhielt Eigendorf endlich die ersehnte Spielberechtigung.

Er fügte sich fast nahtlos in die mit Spielern wie Briegel, Funkel, Geye, Melzer, Neues und Hellström stark besetzte Mannschaft. Lutz absolvierte 53 Bundesliga-, vier Pokal- und zehn UEFA-Cup-Begegnungen für den FCK.

Doch die Freude war nicht ungetrübt. Innenminister und Stasi-Chef Erich Mielke hatte die Schmach, von einem seiner Lieblingsspieler hintergangen worden zu sein, nicht verwunden. Er setzte seinen Stasi-Spitzelapparat sowohl gegen Lutz Eigendorf als auch gegen dessen Eltern und Ehefrau in Szene. Die Stasi-Organisation „Horch und Guck“ verfügte auch im Westen über zahlreiche Agenten, die jeden Schritt und jedes Wort beobachteten und dokumentierten. Aber auch Eltern und Ehefrau im Osten wurden rund um die Uhr bespitzelt. Kritische Äußerungen Eigendorfs in einem TV-Interview über die mangelnde Freizügigkeit im Osten wurden von der SED-Führung in diesem Zusammenhang sehr negativ vermerkt.

Besonders niederträchtig war der Einsatz eines „Romeo“-Agenten gegen die Ehefrau von Lutz Eigendorf, der dazu führte, dass Gabriele Eigendorf einer Schnellscheidung von dem „Verräter“ zustimmte. Dieser Agent hat sie später sogar geheiratet.

Lutz Eigendorf schien zu spüren, dass er ununterbrochen observiert wird. Obwohl er inzwischen wieder geheiratet hatte, fühlte er sich nicht glücklich. Den FCK-Verantwortlichen und Trainer Kalli Feldkamp schien ein Ortswechsel für Lutz eine gute Lösung und so ließ er sich von Eintracht Braunschweig unter Vertrag nehmen.

Ihm waren jedoch nur wenige Einsätze an seiner neuen Wirkungsstätte in Niedersachsen vergönnt.

Am 5. März 1983 erfuhr die Öffentlichkeit von einem Autounfall, bei dem sich Lutz Eigendorf schwerste Verletzungen zugezogen hatte. Zwei Tage später folgte die Nachricht vom Tod des knapp 27-jährigen Ex-DDR-Nationalspielers. Es wurde Alkohol in seinem Blut festgestellt, aber bald flammten auch Vermutungen auf, er sei von Stasi-Agenten betäubt und durch Injektionen alkoholisiert worden. Neue Nahrung erhielten die Gerüchte um eine Verstrickung der Stasi in den Tod von Lutz Eigendorf nach der Wende, als in den Spitzel-Unterlagen belastende Anmerkungen und Zitate gefunden wurden.

Da war vom „Verblitzen“, also vom absichtlichen Blenden des Autofahrers die Rede und im Raum stand auch die unmissverständliche Aussage, dass ein Verräter liquidiert werden müsse.

Aber all diese Hinweise führten zu keiner eindeutigen Schuldzuweisung; die Staatsanwaltschaft hat die Akte Eigendorf vor einigen Jahren geschlossen.

Lutz Eigendorf fand seine letzte Ruhestätte auf dem Hauptfriedhof in Kaiserslautern. Er gehörte keiner Kirche an, aber Ex-FCK-Präsident und Pfarrer Udo Sopp bereitete ihm, „dem Suchenden“, dennoch eine würdige Bestattung.

Alle Anhänger des 1. FC Kaiserslautern gedenken an Eigendorfs 65. Geburtstag eines hervorragenden Fußballspielers, in dessen Leben und Schicksal sich die Geschichte der beiden deutschen Staaten auf besonders unheilvolle Weise gespiegelt hat.

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