30 Jahre ist es her, dass der 1. FC Kaiserslautern seinen dritte Deutsche Meisterschaft – nach den beiden Titeln der Walter-Elf 1951 und 1953 – gewinnen konnte. Matthias Gehring erinnert sich an eine herausragende Spielzeit in der langen Geschichte der Roten Teufel und das unvergessene Saisonfinale in Köln.
Es war ein überraschender und gleichzeitig ein überzeugender Triumph. Am 15. Juni 1991 wurde der 1. FC Kaiserslautern zum dritten Mal in seiner Geschichte Deutscher Meister! Nach 1951 und 1953, zum ersten Mal seit Bestehen der Bundesliga. Mit einem furiosen 6:2 wurde am letzten Spieltag der Saison der 1. FC Köln im Müngersdorfer Stadion vor rund 40.000 mitgereisten Pfälzer Fans niedergerungen. Mit drei Punkten Vorsprung vor den Münchner Bayern konnte sich die Mannschaft von Trainerlegende Karl-Heinz Feldkamp und um Kapitän Stefan Kuntz nach einer souveränen Saison verdientermaßen den Titel sichern. Die legendäre Partie in Köln mit dem Gewinn der Meisterschale jährt sich nun zum 30. Mal.
Niemand hatte zum Beginn der Spielzeit 1990/91 den FCK auf dem Zettel! Die Roten Teufel hatten sich zwar zum Ende der vorangegangenen Spielzeit den DFB-Pokal geholt, dennoch hätte niemand dem FCK zugetraut, im Jahr darauf in der Bundesliga überhaupt oben mitspielen zu können, geschweige denn den Titel zu holen. Immerhin war die Mannschaft in der vorangegangenen Saison nur knapp dem Abstieg entronnen. Diese entscheidenden Wochen im Schlussspurt der Spielzeit 1989/90 sollten jedoch das Fundament für die beiden Titel zu Beginn der Neunziger sein. Unumstrittener Regisseur: Trainer Karl-Heinz Feldkamp, der im März 1990 von ägyptischen Hauptstadtclub Al Ahly Kairo zum Betzenberg kam. Er löste Gerd Roggensack ab, der nach dem 22. Spieltag und der bitteren 0:4-Niederlage beim SV Waldhof seinen Platz räumen musste. Der Ausgang ist bekannt, der FCK hielt die Klasse und schaffte es obendrein, als Außenseiter im DFB-Pokalfinale den Favoriten Werder Bremen mit 3:2 zu schlagen.
Die Erleichterung über den Klassenerhalt und die Pokaleuphorie bescherten der Mannschaft mit ihrem Trainer Karl-Heinz Feldkamp, dem Verein und den Fans ein Gefühl von Leichtigkeit und Unbeschwertheit, die mit in die neue Spielzeit genommen wurden und sicher mit dazu beigetragen haben, dass sich der FCK eher unverkrampft den Weg zum Titel bahnte. Saisonziel sollte ein einstelliger Tabellenplatz sein, was durchaus realistisch erschien. Doch die meisten Fans hätten sich auch schon mit einer sorglosen Spielzeit ohne Abstiegsangst zufriedengegeben. Es sollte anders kommen.
Der sensationelle Erfolg beruhte vor allem auf einer Grundlage. Der Star war unumstritten die Mannschaft! Es ragte kein einziger Spieler von seinen fußballerischen Qualitäten überragend heraus. Jeder konnte jeden ersetzen, es wurde regelmäßig rotiert und die Anfangsformation geändert. Eigentlich spielte das Team zwei Systeme. Auswärts mit ruhigem und abgeklärtem Fußball und dann der Fußball vor heimischem Publikum. „Ball nach vorne und alle hinterher“, beschrieb Meister-Spieler Rainer Ernst einmal die Spiel-Philosophie im eigenen Stadion. Die Mannschaft überzeugte auch durch viele strategische Wechsel und durch ihre Variabilität. Kapitän Stefan Kuntz zum Beispiel spielte in dieser Saison von der Libero-Position bis zur Stürmer-Rolle eigentlich alles. „So hatten wir einige im Team, die Du überall hinstellen konntest. Das war unser großer Trumpf“, skizzierte auch schon Co-Trainer Rainer Hollmann die Erfolgsfaktoren zum dritten Meistertitel.
Nach einem guten Saisonstart mit zwei Auswärtssiegen in Hamburg (3:1) und Dortmund (2:0) sowie einem 1:1-Unentschieden im Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt, setzten sich die Roten Teufel jedoch schnell in der Spitzengruppe der Liga fest. Zur Winterpause lag der FCK noch auf Platz drei, zwei Punkte hinter Herbstmeister Werder Bremen, ein Punkt hinter den Zweitplatzierten Münchner Bayern. Doch nach dem 2:1 auf dem Betzenberg am 22. Spieltag gegen Titelfavorit Bayern München übernahm der FCK die Tabellenspitze und gab sie bis zum Saisonende nicht mehr her. Daran änderten auch unzählige Sticheleien aus der bayrischen Landeshauptstadt nichts, denen man eher mit Humor begegnete. Man erinnere sich nur an die T-Shirts mit dem Aufdruck “…lieber Betzenberg als Effenberg”. Ein Merchandise-Artikel, der seinerzeit reißenden Absatz erfuhr und nur eine von vielen sichtbaren Reaktionen auf die Giftpfeile waren, die in der Rückrunde von den Münchner Bayern geschossen wurden.
Im Fernduell mit den Münchner Bayern den Titel vor Augen, sollten aber vor allem die letzten drei Spieltage noch einmal eine Achterbahn der Gefühle werden. Am 32. Spieltag siegte der FCK auswärts mit 2:1, während die Münchner Bayern im Ruhrpott Federn ließen und bei der SG Wattenscheid 09 mit 2:3 unterlagen. Der Titel war zum Greifen nah und am 33. Spieltag hätte vor heimischem Publikum ein Remis gereicht, um sich die Schale zu sichern. Doch die Fohlen vom Niederrhein führten zur Pause schon mit 2:0 und bauten in der 82. Minute den Vorsprung gar noch aus. Erst in den letzten beiden Spielminuten verkürzten Markus Kranz und Bruno Labbadia noch einmal auf 2:3, doch mehr war an dem Tag nicht drin. Der FC Bayern München war nach einem 1:0-Auswärtserfolg beim 1. FC Nürnberg wieder auf Schlagdistanz. Es kam also zum Showdown am letzten Spieltag der Spielzeit 1990/91. Für den 1. FC Kaiserslautern hätte ein Punktgewinn in Köln gereicht, um den ersten Deutschen Meistertitel, seit den beiden bis dato größten Erfolgen der Vereinsgeschichte in den Jahren 1951 und 1953, in die Pfalz zu holen.
Es begann die größte „Völkerwanderung“ in der Geschichte des pfälzischen Traditionsvereins. Am 15. Juni 1991 traten unglaubliche 40.000 FCK-Fans den Weg nach Köln an. Ein Zuschauerrekord für die Ewigkeit! Die Kölner hatten vor dieser Begegnung eigentlich noch Chancen, sich für den UEFA-Cup zu qualifizieren. Doch der Club aus der Domstadt hatte versäumt, frühzeitig den Kartenverkauf zu reglementieren. Die einfallsreichen Fans der Roten Teufel ließen sich diesen Steilpass nicht entgehen und räumten den Karten-Markt derart ab, dass die lediglich 15.000 einheimischen FC-Fans sich einer unglaublichen Übermacht an FCK-Anhängern gegenüber sahen und im Verlaufe des Spiels weder akustisch noch optisch eine Chance hatten, dagegen anzukommen. Ein denkwürdiges FCK-Heimspiel in Müngersdorf! Ein erstes akustisches Opfer der Pfälzer Invasion war damals Weltmeister Pierre Littbarski. Vielleicht erinnern sich noch viele an die Szene, als das Kölner Idol zum Aufwärmen auf den Rasen trabte. Nach einem dezenten Gruß in Richtung seiner Südkurve schlug ihm aus dem kompletten Stadion-Oval – außer aus den Südkurvenblöcken – ein gellendes Pfeifkonzert entgegen, was ihn auch kurz innehalten ließ. Damit hatte er, damit hatte die Mannschaft der Kölner insgesamt nicht gerechnet. Das war mehr als ein Heimspiel für unseren FCK. Das war eine akustische und optische Demütigung der Heimmannschaft schon lange vor dem Anpfiff.
Aber auch die Mannschaft um Kapitän Stefan Kuntz hatte vor dem Anpfiff nicht die leisesten Zweifel, dass man an diesem Tag Geschichte schreiben würde. So offenbarte beispielsweise Tom Dooley schon vor Jahren einmal mit welch inbrünstiger Siegessicherheit er seinem damaligen Kontrahenten auf dem Platz begegnet war. Für den FCK-Defensivmann war klar, „wir werden dieses Match gewinnen, selbst wenn wir zu allerhärtesten Mitteln greifen müssen. Ich hab zu meinem Gegenspieler Littbarski gesagt, notfalls brech ich Dir die Beine!“
Der FCK übernahm vom Anpfiff weg das Kommando und ließ überhaupt keine Zweifel aufkommen, hier nur auf Remis spielen zu wollen, was zum Titel ja eigentlich gereicht hätte. Bereits nach fünf Minuten erzielte der junge Marco Haber mit einem Fernschuss die 1:0-Führung für den FCK. Weltmeister Bodo Illgner im Kölner Gehäuse war dabei chancenlos. Als der 1. FC Köln noch an diesem frühen Gegentreffer knabberte, legte eben jener Bernhard Winkler, den Kalli Feldkamp überraschenderweise für Bruno Labbadia von Anfang an spielen ließ, in der 14. Spielminute schon zum 2:0 nach. Die Fangemeinde des FCK war völlig aus dem Häuschen. Die Mannschaft trug dazu bei, dass die Feierstimmung bis zum Schlusspfiff anhielt und natürlich darüber hinaus. Der FC verkürzte zwar nach einer halben Stunde durch einen Elfmeter von Frank Ordenewitz noch zum 1:2, doch bis zur Pause stand es bereits 4:1 durch einen Doppelschlag von Bernhard Winkler und Tom Dooley unmittelbar vor der Pause. Die FCK-Fans befanden sich nun bereits in einem regelrechten Siegesrausch und feierten auch die ganze Pause hindurch weiter. Da sollte doch nun wirklich nichts mehr schief gehen, zumal die Gastgeber nach einem frühen Platzverweis in der 30. Minute gegen den heutigen Bayern- und künftigen Bundestrainer Hans-Dieter Flick nur noch zehn Mann auf dem Platz hatten.
Kurz nach dem Wechsel verkürzte dennoch Frank Greiner, der später selbst zum FCK wechseln sollte, noch auf 2:4, der Sieg der Pfälzer geriet aber nicht mehr in Gefahr. Marco Haber und Markus Schupp erhöhten in der Endphase der Begegnung auf 6:2 für den 1. FC Kaiserslautern. Die Kölner leisteten zu diesem Zeitpunkt schon längst keine wirkliche Gegenwehr mehr. Nun stürmten aber bereits, obwohl das Spiel noch lief, mehrere Tausend Gästefans den Innenraum des Stadions und formierten sich rund um die Spielfläche, sodass sogar kurzfristig ein Abbruch dieser Begegnung drohte. Aber Schiedsrichter Manfred Harder behielt die Nerven und brachte die letzten Minuten noch regulär über die Bühne. Nach dem Abpfiff kannte der Jubel der Roten Teufel dann endgültig keine Grenzen mehr. Mannschaft und Fans des 1. FC Kaiserslautern feierten lautstark und ausgelassen diese als sensationell zu bezeichnende dritte Deutsche Meisterschaft des FCK – in der Domstadt am Rhein, in der pfälzischen Heimat und überall dort, wo FCK-Fans die Farben ihres Herzensvereins auch in der Ferne vertreten.
Die Mannschaft trat nach dem Triumph in Köln die Rückfahrt mit einem Schiff auf dem Rhein an. Damit ging es bis Koblenz, wo man erst am frühen Morgen ankam. Das Sportstudio wurde von Bord gesendet. Auch der am 7. Juni 2021 verstorbene Norbert Thines, der vor allem auf der Rückreise das „Gute-Laune-Zepter“ schwang und zum Feierbiest avancierte, hat häufiger amüsante Details zum Besten gegeben. „Do war ich ganz vorne an de Spitz vun dem Schiff geschdann. Da kam ein Polizeiboot und die haben mir zugerufen, Sie sind ja lebensmüde, gehen Sie da weg! Do hab ich zurückgeruf, des geht net, ich bin doch besoff!“ In Kaiserslautern bereiteten die Massen der Mannschaft einen triumphalen Empfang, Fritz Walter gratulierte persönlich und strahlte vor Stolz. Ein rauschendes Fest mit hunderttausend Gästen begann. Die Party in Kaiserslautern dauerte lange an und unzählige Fans berichten heute noch, dass man eigentlich über Tage aus dem Feiern nicht mehr rausgekommen war. Ach, was war das schön!