Am 25. Mai 1996 holte der 1. FC Kaiserslautern nach dem erstmaligen Titelgewinn 1990 zum zweiten Mal den DFB-Pokal. Zum 25-jährigen Jubiläum des Finalsiegs von Berlin gegen den Karlsruher SC erinnert sich Matthias Gehring vom FCK-Museumsteam an den historischen Tag für die Roten Teufel zurück.

Es war ein Wetter ähnlich wie 25 Jahre später am 25. Mai 2021 – kühl, regnerisch und ungemütlich. Das triste Wetter jenes 25. Mai 1996 passte zur Gemütslage der Fangemeinde der Roten Teufel. Nur eine Woche zuvor war der 1. FC Kaiserslautern am letzten Spieltag der Saison erstmals aus der Bundesliga abgestiegen. In einem sprichwörtlichen Endspiel. Als Gründungsmitglied der Bundesliga, nach 33 Jahren Zugehörigkeit zur Beletage des deutschen Fußballs. Doch die Mannschaft um Kapitän Andy Brehme hatte sich im zweiten nationalen Wettbewerb die Chance eröffnet noch einen ganz großen Triumph einzufahren. Der FCK stand im Finale um den DFB-Pokal der Saison 1995/96. Gegner im altehrwürdigen Berliner Olympiastadion, der Karlsruher SC. Das zweite „Finalspiel“ binnen einer Woche!

Es war nach 1961, 1972, 1976, 1981 und 1990 bereits die sechste Finalteilnahme des FCK im DFB-Pokal. Doch keines der DFB-Pokal-Endspiele, die der FCK bisher bestritten hatte, stand unter einem derart schmerzlichen Stern wie jenes vor 25 Jahren. Der Stachel saß tief nach der Schmach von Leverkusen, als ein gewisser Markus Münch acht Minuten vor Spielende mit seinem Treffer zum 1:1 die Lauterer Hoffnungen auf den Klassenerhalt zunichtemachte. Bilder, die sich bis heute in die Hirnrinde jedes FCK-Fans gebrannt haben dürften, so er oder sie damals schon sein Herz an den FCK verloren hatte. Die eigene Gefühlswelt jener Woche zwischen dem 18 und dem 25. Mai ist auch dem Autor noch heute in guter Erinnerung. Nach Tagen tiefer Trauer ging es an die Vorbereitungen zum neuerlichen Abenteuer in Berlin, dem zweiten nach 1990.

Die Halbfinalbegegnungen waren bereits im Februar ausgetragen worden. Die Finaltickets waren zum Zeitpunkt des besiegelten Abstiegs beim Gastspiel unterm Bayer-Kreuz also längst organisiert. Schon am Freitag ging es los in Richtung Nordosten. Erste Etappe war Leipzig, wo der jüngste Spross der Familie gerade seinen Start ins Berufsleben eingeläutet und ein erstes vorübergehendes Zuhause gefunden hatte. Die Stadt ist für das kleine Brüderchen bis heute Heimat geblieben. Genau wie der vor einigen Jahren gegründete Leipziger FCK-Fanclub Mephistos. Am Vorabend des Finales wurde mit zwei weiteren Mitfahrern also erst einmal Quartier in der sächsischen Messe- und Buchstadt bezogen. Beim Vorglühen für den Finaltag eine gute Gelegenheit den Horror der Vorwoche noch einmal aufzuarbeiten, sich in illustrer Runde den Frust von der Seele zu reden und sich auf den Finaltag einzuschwören. So wurden erst spät in der Nacht die Lichter gelöscht, um dann doch noch ein paar Stunden Schlaf zu finden.

Anders als beim Finale 1990, als sich unzählige Fangruppen schon am Vormittag am Ku’damm tummelten und auch mit den Fans von der Weser gemeinsam feierten und flachsten, tendierte im Jahr 1996 die Motivation, sich bereits vor dem Anpfiff ins Großstadtleben zu stürzen, gegen Null. Innerlich hatten die meisten FCK-Fans im Vorfeld der Begegnung eher nur einen Plan – mutig und trotzig hinfahren, reingehen, schreien, siegen, heimfahren! Mir jedenfalls ging’s so! Ein entspannter Vormittag mit opulentem Frühstück, ein bisschen Farbe auftragen, wichtigste Fan-Utensilien ins Auto verfrachten, Getränkevorräte auffüllen und ab auf die A9! Knapp zweieinhalb Stunden Fahrt mit obligatorischen Pipi-Pausen bis zu einer schrägen Parkmöglichkeit in Stadionnähe, nicht ohne jedem Karlsruher Fahrzeug, das man unterwegs passierte, den gebührenden Unmut zu signalisieren und mit wachsendem Mut dem vermeintlichen Gegner klarzumachen, hier gewinnt nur einer, Lautern und sonst keiner!

Der FCK war 1990 klarer Außenseiter gegen den SV Werder Bremen. Die Favoritenrolle 1996 war vielleicht nicht ganz so klar für einen der beiden Kontrahenten auszumachen wie sechs Jahre zuvor, aber dem KSC hatte so mancher Experte dann doch schon einiges mehr zugetraut. Die Karlsruher hatten eine bärenstarke Rückrunde gespielt, hatten den FC Bayern im Münchner Olympiastadion mit 4:1 geschlagen, hatten den BVB mit 5:0 aus dem Wildparkstadion geschossen und in 17 Begegnungen bei nur drei Niederlagen insgesamt 30 Punkte gesammelt. Mit den in der Vorrunde errungenen 18 Punkten standen am Ende 48 Zähler auf dem Konto. Ausgerechnet im letzten Spiel der Saison ging es zum Erzrivalen VfB Stuttgart. Die Badener verloren diese wichtige Partie mit 1:3 und verpassten damit einen UEFA-Cup-Platz. Bei weitem keine so schmerzliche Scharte wie die, welche die FCK-Akteure durch den Liga-Abstieg zu verkraften hatten. So gesehen ein DFB-Pokalfinale mit zwei enttäuschten Mannschaften. Wer sollte also mehr Willenskraft aufbringen, am Ende einer kraftraubenden und enttäuschenden Spielzeit noch einmal alles zu mobilisieren?

Der FCK hatte den Weg ins Finale über Fortuna Köln (3:4 n.V.), die SG Wattenscheid 09 (3:0), Schalke 04 (1:0) im Achtelfinale, den FC Homburg (3:4 n.V.) im Viertelfinale und Bayer 04 Leverkusen (1:0) im Halbfinale genommen. Der KSC hatte auf dem Weg ins Berliner Olympiastadion zunächst TB Berlin (1:2), Sachsen Leipzig (0:2), die SpVgg Unterhaching (2:3), den BVB (1:3) und im Halbfinale Fortuna Düsseldorf (2:0) geschlagen. Die Kontrahenten an der Seitenlinie hießen Winnie Schäfer auf Seiten der Karlsruher und auf Lauterer Seite Eckhard Krautzun, der im März den glücklosen Friedel Rausch als Trainer beerbt hatte und so gesehen keine Aktien am Erreichen des Finales hatte. Die Kräfteverhältnisse der Kontrahenten auf den Tribünen des damals noch nicht ganz überdachten aber komplett ausverkauften Olympiastadion-Ovals waren schon etwas deutlicher. Zigtausend FCK-Fans, die teilweise aus der ganzen Republik angereist waren, hatten schon optisch ein Übergewicht gegenüber den blau-weißen fußballbegeisterten Fans aus Baden. Aber auch akustisch machten die „Pälzer Krischer“ ihrem Ruf im weiten Rund alle Ehre!

Es war vom Anpfiff weg eine hart umkämpfte Partie, bei der sich die Akteure auf beiden Seiten nichts schenkten. Vor allem die Kapitäne Andy Brehme beim FCK und Thomas „Icke“ Häßler beim KSC, der als gebürtiger Berliner an jenem Tag nur allzu gerne den Pott mit in die Fächerstadt genommen hätte, standen vielfach im Blickpunkt, rackerten und kämpften bis zum Umfallen. Beide Teams hatten im Verlauf der ersten Halbzeit durchaus Chancen in Führung zu gehen. Der FCK nutzte eine davon. Als Pavel Kuka in der 42. Minute in zentraler Position, etwa 18 Meter vorm Karlsruher Gehäuse von Thorsten Fink zu Fall gebracht wurde, entschied der umsichtige Schiedsrichter Hellmut Krug auf Freistoß. Nicht nur die Karlsruher Spieler rechneten wohl mit einem Schlenzer des souveränen Miroslav Kadlec. Doch es war Martin Wagner, der anlief und der Mann mit der linken „Klebe“ drosch das Leder unter der hochspringenden Karlsruher Mauer hindurch. Claus Reitmaier im Kasten der Karlsruher sah das Leder zu spät und konnte nicht mehr verhindern, dass ihm die Kugel durch die „Hosenträger“ ins Netz rutschte. Der FCK führte mit 1:0!

Kurz darauf ging es mit der knappen Führung in die Kabine. Nach dem Wiederanpfiff musste der KSC mehr tun und tauchte immer öfter vor dem Lauterer Strafraum auf. Die Roten Teufel ackerten und bissen sich in die Zweikämpfe. Miroslav Kadlec hatte vom Anpfiff weg immer wieder die Abwehr organisiert und dirigiert und so kaum brandgefährliche Chancen für die Karlsruher zugelassen. Thomas Häßler hatte mit Axel Roos einen echten Wadenbeißer im Genick, der den badischen Führungsspieler fast komplett abmeldete. Hoffnung schöpfte die KSC-Fangemeinde als Andy Brehme binnen zwei Minuten gegen Jens Nowotny gleich zweimal die Grätsche auspackte und somit folgerichtig in der 72. Minute mit Gelb-Rot vom Platz musste. Der FCK eine gute Viertelstunde in Unterzahl. Sollte das reichen oder brachen die Roten Teufel nun ein?

Die Jungs im roten Trikot warfen sich fortan in jeden Zweikampf, rackerten und kämpften um jeden Ball. Die Uhr lief runter, das Regenwasser lief den Fans auf den Tribünen in jede Klamottenritze. Das Spiel hatte Kraft gekostet, auch des tiefen Bodens wegen. Die Karlsruher mühten sich, der FCK hielt dagegen. Die in rot-weiß gekleideten Fans quittierten jeden Ballkontakt des FCK mit lautstarken Ovationen und pfiffen sich die Seele aus dem Leib, sobald ein Karlsruher Spieler auch nur ansatzweise an den Ball kam. Die letzten Minuten und Sekunden der Partie fühlten sich wie eine Ewigkeit an. Als Thomas Hengen an der Eckfahne den Ball vor seinem Karlsruher Kontrahenten abschirmte und behauptete, so Zeit von der Uhr nahm, ertönte endlich, endlich der ersehnte Pfiff von Hellmut Krug und entlud sich der ganze Frust der letzten Woche in einer frenetischen Jubelarie in rot und weiß! Der FCK war zum zweiten Mal Pokalsieger geworden!

Die Siegerehrung nahmen wir noch mit und dann hielt sich ob des nasskalten Wetters auch die Feierlaune in Grenzen. Schließlich gab es bereits am Vormittag das entschlossene Vorhaben – hinfahren, reingehen, schreien, siegen, heimfahren! Wir hatten den uns das Vorhaben eingeredet nach Berlin zu fahren und den Pokal „abzuholen“. Geschafft! So unspektakulär wir die Bundeshauptstadt angefahren und erobert hatten, so unspektakulär verließen wir den Ort des Geschehens auch wieder. Als Absteiger mit einem goldenen Pokal im imaginären Reisegepäck. Ein Nimbus, der bis heute nicht wiederholt wurde. Niemand konnte damals ahnen, dass vor allem der bittere Abstieg und der Pokaltriumph in jenem Frühsommer der Nährboden für eine noch viel großartigere Geschichte sein sollten. Der FCK stieg in der darauffolgenden Saison direkt wieder in die Bundesliga auf und wurde in der Saison 1997/98 als erster Aufsteiger Deutscher Meister. Ein weiterer Nimbus, der bis heute unerreicht blieb und es wohl auch noch lange, sehr lange bleiben wird. Aber da ist wieder eine andere Geschichte. Der Abend des 25. Mai 1996 stand erst einmal dafür, dass man mit dem nötigen Willen, mit Mut und der entsprechend (trotzigen) Einstellung vieles erreichen kann, was nicht möglich scheint. Vieles, sehr vieles, grade und vor allem beim 1. FC Kaiserslautern!

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