Markwart Herzog berichtet über neue Erkenntnisse, wir der 1. FC Kaiserslautern im Jahre 1933 mit seinen jüdischen Mitgliedern verfuhr.
Am 9. April 1933 trafen sich in Stuttgart Vertreter von 14 süddeutschen Fußballclubs zu einer Besprechung, an deren Ende sie eine Erklärung veröffentlichten, mit der sie auf die veränderten politischen Verhältnisse reagierten. Dieser „Stuttgarter Erklärung“ zufolge hatten die Vereine beschlossen, „mit allen Kräften“ an der Politik des Hitler-Regimes mitzuarbeiten und „alle Folgerungen, insbesondere in der Frage der Entfernung der Juden aus den Sportvereinen, zu ziehen“. An der Besprechung hatten unter anderem Repräsentanten des 1. FC Nürnberg, des FC Bayern München, der SpVgg Fürth und des 1. FC Kaiserslautern teilgenommen.
Die 14 Vereine verwirklichten die Willensbekundung zur „Entfernung der Juden“ mit unterschiedlicher Eile und Intensität. Besonders forsch schritt der „Club“ zur Tat: Der Verwaltungsausschuss entschied keine drei Wochen nach der Stuttgarter Versammlung, „die ihm angehörenden jüdischen Mitglieder mit Wirkung vom 1. Mai 1933 aus seiner Mitgliederliste“ zu streichen, die SpVgg Fürth wartete mit dem Ausschluss nicht-„arischer“ Mitglieder drei Monate länger, der FC Bayern München bis März 1935.
Und der 1. FC Kaiserslautern? Bis heute sprach einiges dafür, dass der FCK bis 1936/37 jüdische Mitglieder in seinen Reihen führte. Zentral für diese Vermutung war die Rolle, die Dr. Ludwig Müller, 1931 bis 1936 und 1950 bis 1955 Vorsitzender bzw. „Vereinsführer“ des FCK, gespielt hat. Für die Vermutung sprachen Aussagen von Zeitzeugen jüdischer Herkunft, die nach der Jahrtausendwende interviewt worden waren. So bezeugte der 1921 geborene Werner Maas, bis zur Emigration in die USA im Jahr 1936 in das Vereinsleben auf dem Betzenberg integriert gewesen zu sein. Gemeinsam mit seinem Vater, dem Vereinsarzt Dr. Albert Maas, habe er Spiele besucht, sein Vater Sportler behandelt.
Auch Archivdokumente wiesen in diese Richtung. So etwa eine Erklärung des ehemaligen jüdischen Amtsrichters und früheren FCK-Schriftführers Karl Maas, eines Bruders von Dr. Albert Maas: In dem 1947/48 gegen Ludwig Müller geführten Spruchkammerverfahren bezeugte Karl Maas, Müller habe den Mut gehabt, bis 1937 seine Kontakte zu jüdischen Bürgern aufrechtzuerhalten. Maas versicherte, jüdische Sportler hätten zu Müllers engstem Kreise gehört: „Wöchentlich mehrmals trafen wir uns in Versammlungen und auf Sportplätzen. Nach der Machtübernahme 1933 setzte er [Müller] diesen Verkehr fort. Ich zog mich damals aus dem Sportleben zurück. Er suchte mich heranzuziehen und in vielen Auswärtsfahrten des Vereins war ich in seiner Gesellschaft.“
Dass es sich bei dieser Erklärung nicht um einen der üblichen „Persilscheine“ gehandelt haben konnte, beweist ein Prozess des NSDAP-Kreisgerichts Kaiserslautern im Jahr 1936, in dem Müller aufgrund einer Denunziation angeklagt worden war, sich mit einem ehemaligen jüdischen FCK-Mitglied in der Öffentlichkeit unterhalten zu haben.
War die Stuttgarter Erklärung für den FCK also ein Lippenbekenntnis, dem keine Taten folgten? Aufgrund der genannten Zeitzeugenaussagen und Archivquellen schien es schwer vorstellbar, dass Müller selbst oder der FCK als eingetragener Verein unter Müllers Vorsitz die Rassenpolitik der NSDAP unterstützt haben könnten. Diese Vermutung hat sich aufgrund neuer Quellenfunde nun jedoch als falsch herausgestellt. Im Archiv des FCK wurden im August 2019 einige Dokumente aus der NS-Zeit entdeckt, unter anderem Satzungen aus den Jahren 1933 und 1935.
Die Satzung von 1933 datiert auf den 21. April; sie enthält in Paragraf 5, der „Erwerb und Verlust der Mitgliedschaft“ regelt, den sogenannten Arierparagrafen, in dem der FCK sich zum Ausschluss nicht „arischer“, also auch jüdischer Mitglieder verpflichtete. Signiert wurde diese Satzung von „Vereinsführer“ Müller und Schriftführer Grünenbaum.
Aufgrund des Datums kann es als sicher gelten, dass die Satzung auf der außerordentlichen Generalversammlung beschlossen wurde, die an eben diesem Tag stattgefunden hatte. Über diese Versammlung ist ein Bericht der Pfälzischen Volkszeitung überliefert, der zwar darauf hinweist, dass „einige notwendige Satzungsänderungen, die sich den neuen Verhältnissen anpassen, einstimmig beschlossen“ worden seien. Welche Änderungen das waren, ist dem Zeitungsbericht jedoch nicht zu entnehmen. Hier sorgt der neue Quellenfund für Klarheit.
Überhaupt habe es der FCK, wie die Pfälzische Volkszeitung weiter ausführte, „aus freien Stücken unternommen, die Gleichschaltung in seinen Reihen auf dem schnellsten Wege durchzuführen“. Anders als der FC Bayern München hatte es der Vorstand auf dem Betzenberg besonders eilig, sich seiner jüdischen Mitglieder zu entledigen. Eine derartige Maßnahme hatte der Deutsche Fußball-Bund seinen Mitgliedsvereinen nicht vorgeschrieben, der FCK beschloss sie, wie der Pressebericht feststellte, „aus freien Stücken“. Die Generalversammlung dauerte eineinhalb Stunden; sie hatte „wie selten einen überaus starken Besuch aufzuweisen“. Eröffnet wurde sie von Ludwig Müller als Vorsitzendem mit einem „dreifachen Sieg-Heil auf Reichspräsident Hindenburg, den Wegbereiter des neuen Deutschland Adolf Hitler und unser deutsches Vaterland“.
Wie lässt sich der scheinbare Widerspruch in Müllers Verhalten erklären? Da Müller „als wahrer Sportsmann keinen Standes- oder Rassenunterschied“ gekannt habe, wie Karl Maas bestätigte, hat es sich bei ihm gewiss um keinen Antisemiten gehandelt. Dennoch unterstützte er die Durchsetzung der Rassenpolitik Hitlers im Vereinsleben des FCK. In diesem Fall gilt es also, Müllers Verhalten als Privatmann und sein Handeln in der Rolle des Vereinsfunktionärs zu unterscheiden. Müller hatte die Aufnahme in die NSDAP 1933 beantragt, 1936 wurde sie bewilligt. Im Spruchkammerverfahren beteuerte er zehn Jahre später, zu diesem Schritt genötigt gewesen zu sein, um die Vereinsgeschäfte weiterführen zu können, nachdem Hitler an die Macht gekommen war. Genau aus diesem Grund dürfte er auch der „Arisierung“ seines Vereins zugestimmt haben. „Vereinsführer“ Müller passte sich im Frühjahr 1933 den sich ändernden politischen Rahmenbedingungen opportunistisch an, so wie es zahlreiche Unternehmer, Vereins- und Verbandsvorstände taten. Die bestmögliche Positionierung seines Fußballvereins in der Konkurrenz mit anderen Vereinen und die Sicherung seiner ehrenamtlichen Position auf dem Betzenberg waren Müller als Funktionär wichtiger als die ethischen Prinzipien, an denen er sich in seinem Privatleben orientierte.
Auch die zitierten Berichte von Zeitzeugen jüdischer Herkunft, die Müller mutiges menschliches Handeln attestierten, müssen nicht in Widerspruch zu seiner antisemitischen Vereinspolitik gestanden haben: Müller könnte, wie von Maas geschildert, jüdische Sportbegeisterte auch nach deren Ausschluss aus dem FCK in seiner Rolle als Privatmann zu den genannten „Auswärtsfahrten des Vereins“ mitgenommen haben. Maas’ „innersten Überzeugung nach [war Müller] kein Nationalsozialist, selbst wenn er aus irgendwelchen Motiven nominelles Mitglied der Partei wurde“ – und daran mitwirkte, Bürger nicht-„arischer“ Abstammung auf der Basis eines einstimmigen Beschlusses der Mitglieder aus dem FCK auszuschließen.
Nur auf den ersten Blick scheint es erstaunlich zu sein, dass die Satzung, die der FCK zwei Jahre später, am 27. April 1935, verabschiedet hat, keinen „Arierparagrafen“ mehr enthielt. Denn eine derartige Bestimmung dürfte damals nicht mehr nötig gewesen sein, wenn man annimmt, dass der Satzungsbeschluss vom 21. April 1933 vollzogen worden war. Die dafür geeigneten Leute saßen im Frühjahr 1933 gemeinsam mit Müller im Vorstand: Stellvertretender „Vereinsführer“ war Sportjournalist und NSDAP-Mitglied Peter Meyer; als Leiter der Hockeyabteilung firmierte der SS-Mann Hermann Heger. Die Abteilung „Leichtathletik und Wehrsport“ wurde von dem Schullehrer Dr. Otto Coressel geleitet, der als politischer „Sportkommissar“ von NSDAP-Kreisleiter und SA-Gruppenführer Ernst Dürrfeld mit dem Vollzug der „Gleichschaltung“ in den Kaiserslauterer Turn- und Sportvereinen beauftragt worden war. Selbst wenn Müller Skrupel gehabt haben mag, erwies sich in Anbetracht der Besetzung des FCK-Vorstands sein Opportunismus als stärker. Dass der „Arierparagraf“ nur pro forma beschlossen wurde, ist unwahrscheinlich. Denn mit den Nationalsozialisten Meyer, Coressel und Heger war der FCK für eine Vereinspolitik im Sinn der NSDAP bestens aufgestellt.
Fazit: Angesichts der Satzungen aus den Jahren 1933 und 1935 erscheint die Geschichte des FCK in einem neuen Licht. Die Zeitzeugenaussagen und Dokumente über Ludwig Müllers Handeln im „Dritten Reich“ müssen aufgrund der bisher unbekannten Quellen anders gedeutet und bewertet werden als in den bisherigen Publikationen über den „Betze“ unterm Hakenkreuz. Es besteht kein Zweifel, dass der FCK unter Müllers Vorsitz durch einstimmigen Beschluss einer außerordentlichen Generalversammlung sich schon am 21. April 1933, also früher als zahlreiche andere Fußballvereine, seiner nicht-„arischen“ Mitglieder entledigt hat.
Quellen
Bundesarchiv Berlin: R 9361/II/377893; R 9361/III/69487; ehem. BDC RS C 141 1207 (Personalakten Hermann Heger).
Landesarchiv Speyer: J 3, Nr. 860 (Personalakte Karl Maas, die Dokumente aus dem Spruchkammerverfahren Dr. Ludwig Müller in Kopie enthält); R 18, Nr. A 19836 (Spruchkammerakte Dr. Otto Coressel); R 18, Nr. A 22858 (Spruchkammerakte Peter Meyer).
1. FC Kaiserslautern, Archiv: Satzungen 21.4.1933 und 27.4.1935.
Pfälzische Volkszeitung, 24.4.1933.
Literatur
Markwart Herzog, Der „Betze“ unterm Hakenkreuz. Der 1. FC Kaiserslautern in der Zeit des Nationalsozialismus, 2., überarbeitete Auflage, Göttingen 2009.
Markwart Herzog, Jüdische Mitglieder und Antisemitismus in der Geschichte des FCK, in: In Teufels Namen. Mitgliedermagazin 1. FC Kaiserslautern (von Saison 2012/13 bis 2016/17 laufende Artikelserie).
Markwart Herzog, Die „Gleichschaltung“ der Turn- und Sportvereine in Kaiserslautern und der Pfalz in den Jahren 1933 bis 1939, in: ders. (Hrsg.), Die „Gleichschaltung“ des Fußballsports im nationalsozialistischen Deutschland, Stuttgart 2016, 137–208.