Spannungsgeladene Wochen gingen dem Start unseres 1. FC Kaiserslautern in die neu gegründete Fußball – Bundesliga voraus. Durch den souveränen Gewinn der Meisterschaft 1962/63 in der Oberliga Südwest hatte sich der FCK für die Aufnahme in die höchste Spielklasse qualifizieren können.
Mit vielen Anhängern des FCK fieberte ich mit Freude und Enthusiasmus dem, auf den 24. August 1963 terminierten, ersten Spieltag der neuen Bundesliga entgegen. Auf dem Betzenberg wurde unterdessen hart gearbeitet, um das ehrwürdige Stadion in einen bundesligatauglichen Zustand zu versetzen. Die bisherigen West- und Ostkurven wurden abgetragen und durch neue Stehplatzkurven ersetzt, die ehemalige Südtribüne musste ebenfalls einem Neubau weichen. Zum Auffüllen des Walles dieser Tribüne schaffte man einen Teil des an der Bahnlinie nach Neustadt gelagerten Trümmerschuttes aus dem Bombenkrieg herbei. Die US – amerikanischen Streitkräfte stellten für besonders sperrige Transporte Großfahrzeuge zur Verfügung. Zwei oder drei Mal in der Woche radelte ich über die Kantstraße zum Stadion hoch, um die Baufortschritte in Augenschein nehmen zu können. Trotz aller Anstrengungen ist es jedoch nicht gelungen, die Arbeiten bis zum ersten Heimspiel am 31. August 1963 vollständig abzuschließen – die Überdachung der Südtribüne sowie die vier Flutlichtmasten wurden mit Verspätung installiert.
Um eine andere Baustelle hatte sich derweil Trainer Günter Brocker zu kümmern: Seine Mannschaft musste verstärkt werden. Mit Harald Braner, Willi Wrenger und dem Torhüter Horst-Dieter Strich konnten vielversprechende Kräfte gewonnen werden, für Aufsehen sorgte indes die Verpflichtung des niederländischen Nationalspielers Co Prins aus Amsterdam, der anstelle des Sportinvaliden Gerd Miksa unter Vertrag genommen wurde.
Neben dem Optimismus und der Vorfreude unter uns FCK-Anhängern gab es in Kaiserslautern auch Stimmen, die den Profifußball beim FCK ebenso ablehnten, wie den Stadionausbau. Zu ihnen gehörte mein Onkel Herbert, den neben beruflichem Fleiß als Bauingenieur und großer Beharrlichkeit vor allem eine herzliche Abneigung gegen den FCK auszeichnete. Dabei war er ein echter Lauterer und durchaus ein Fußballfreund. Er hatte in jungen Jahren noch auf der Wormser Höhe und auf dem Erbsenberg für den VfR gespielt und später seinem Verein in verschiedenen Vorstandsfunktionen gedient. Seine Abneigung gegen uns „Schnääker vum Betze“ rührte wohl von alten Rivalitäten aus den Zwanziger- oder Dreißigerjahren. Dass ich Anfang 1962 Mitglied beim FCK geworden bin, wertete er als persönliche Beleidigung.
Für Onkel Herbert stand jedenfalls fest, dass der FCK aus der Provinzstadt Kaiserslautern die wirtschaftliche und sportliche Belastung nicht tragen könne, um sich auf Dauer mit den Vereinen aus den Metropolen und Großstädten messen zu können: „Der FCK wird gleich wieder absteigen!“
Am 24. August 1963 hatte unser FCK an dem mit Herzklopfen erwarteten ersten Spieltag eine Auswärtsbegegnung in Frankfurt gegen die Eintracht. Am gleichen Tag fand ein Spiel des VfR auf dem Erbsenberg statt – und so kam es, dass ich den Bundesligaauftakt über ein Transistorradio bei Onkel Herberts Verein verfolgte. Ich jubelte, als das erste Tor des FCK in der Bundesligageschichte vermeldet wurde, jenes Elfmetertor durch Jürgen Neumann. Frankfurt konnte ausgleichen, am Ende hieß es 1:1, doch ich war froh und zufrieden, dass die Roten Teufel die prophezeite Niederlage abwenden konnten.
Eine Woche später gastierte die traditionsreiche Mannschaft von Schalke 04 auf dem Betzenberg. Rund 34 000 Zuschauer drängten sich bei dem ersten Heimspiel des FCK in dem neuen Betonoval, wobei die winzige, alte Nordtribüne mit ihrem Holzaufbau und ihren 800 Sitzplätzen wie ein lächerlicher Anachronismus wirkte. Schalke 04 spielte groß auf und ging mit 3:1 in Führung, Reitgassls Anschlusstreffer kam spät. Obwohl sich die von ihren Fans unermüdlich angefeuerte Mannschaft gegen die erste Niederlage aufbäumte, blieb es beim 3:2 für Schalke. Sollte Onkel Herbert mit seiner düsteren Prophezeiung doch Recht behalten?
Aus dem nächsten Auswärtsspiel bei Hertha BSC brachte der FCK dank eines 2:2-Unentschiedens erneut einen Punkt mit nach Hause. Es keimte wieder Zuversicht auf. Am 14. September 1963 kam mit Werder Bremen erneut ein starker Gegner auf den Betzenberg. Viele FCK-Freunde erinnerten sich, wie die Roten Teufel zwei Jahre zuvor das Pokalendspiel gegen die Bremer mit 0:2 verloren hatten – und die Hoffnung auf den ersten Bundesligasieg des FCK war bei den 22.000 Besuchern eher gedämpft. Doch es kam ganz anders. Der FCK entfachte einen tollen Angriffswirbel und ließ Werder mit einem glatten 3:0-Erfolg keine Chance. Jürgen Neumann glänzte im defensiven Mittelfeld, Willy Reitgassl war ein torgefährlicher Spielmacher, Winfried Richter dank seiner Schnelligkeit kaum zu halten – und Co Prins zeigte sich in großartiger Form und Spiellaune. Ich erinnere mich des nicht enden wollenden Jubels, als Reitgassl und Co Prins einen indriekten Freistoß so raffiniert zelebrierten, dass Richter den vom Werderaner Torhüter nur mit Mühe abgewehrten Schuss zum vorentscheidenden 2:0 verwerten konnte. Reitgassl besiegelte mit seinem zweiten Treffer an diesem Tag den ersten Sieg des FCK in der Bundesliga.An diesem denkwürdigen Nachmittag spielte der FCK unter Trainer Brocker in folgender Besetzung:Strich; Kiefaber, Mangold; Schneider, Pulter, Neumann; Gawletta, Reitgassl, Wrenger, Co Prins, Richter. (Zur Mannschaft gehörten zudem noch Schnarr, Kostrewa, Bauer und „Flutlicht-Meier“.)
Am neunten Spieltag stand der 1. FCK nach zwei aufeinander folgenden Auswärtssiegen in Saarbrücken und (mit 5:0) und beim 1. FC Nürnberg mit 11:7 Punkten und 18:11 Toren auf dem vierten Tabellenplatz. Wer hätte das für möglich gehalten? Onkel Herbert wurde für einige Zeit mit seinen Äußerungen zurückhaltender. Wir FCK-Freunde stimmten aber aus vollem Herzen dem damaligen Lauterer Oberbürgermeister Dr. Walter Sommer zu, der in dieser Zeit fragte: „Ist es nicht fantastisch, dass eine Stadt von der Größenordnung Kaiserslauterns immer wieder solche Mannschaften herausbringt?“ Diese stolze Feststellung durfte unser FCK in den 50 nachfolgenden Bundesligajahren noch oft für sich in Anspruch nehmen
Vielen Dank an Hans Walter von der Initiative Leidenschaft Fritz-Walter-Museum e. V. für seine Erinnerungen!