Zusammen mit Ehefrau Denise und Töchterchen Luca-Marie betritt der 24-jährige Stürmer den Eingangsbereich des Reptiliums, wo Geschäftsführer Uwe Wünstel zusammen mit verschiedenen Medienvertretern auf die Ankunft des gebürtigen Münchners wartet. Während der Neuteufel auf dem Trainingsplatz ausschließlich Minusgrade gewöhnt ist, wird er zusammen mit seiner Familie die kommenden 90 Minuten bei angenehmen 25 Grad Celsius erleben, die 365 Tage im Jahr im Landauer Reptilienzoo herrschen. So heißt es für den Fußballprofi also zunächst raus aus den Klamotten und rein ins Abenteuer Wildnis, bei dem zunächst ein Besuch in der Aufzuchtstation auf dem Plan steht. Stolz berichtet Experte Wünstel dort über die Erfolge bei der Nachzucht von verschiedenen Reptilien, wie der bereits erwähnten madagassischen Strahlenschildkröte, die erst tags zuvor das Licht der Welt erblickt hatte.
Bedacht und ruhig nähert sich Sandro Wagner dem kleinen Lebewesen, doch schon wenige Minuten später ist der auf dem Platz so selbstbewusst auftretende Stürmer komplett verstummt, als Vogelspinne „Curly“ aus ihrem Terrarium geholt wird und auf der Hand von Uwe Wünstel Platz nimmt. „Willst Du sie auch einmal nehmen?“, versucht der Geschäftsführer des Reptiliums den Fußballprofi zu überzeugen. „Nein, nein Spinnen sind nicht so mein Fall“, antwortet Sandro, der es vorzieht die Führung im Nachthaus fortzusetzen, wo bei Schwarzlicht Zeit für ein erstes Gespräch ist.
Sandro, wie gefällt es Dir in der Welt der Reptilien und Amphibien?
Im Reptilium ist es wirklich sehr interessant und es freut mich, dass ich zusammen mit meiner Familie hier sein kann. Wann sonst hat man schon die Gelegenheit Tieren dieser Art so nah zu sein. Ich habe wirklich großen Respekt vor Spinnen, Schlangen und Co., aber hier bekommt man alles so gut erklärt, dass man seine Angst verliert und seine Vorurteile abbauen kann.
Dennoch hältst Du immer einen gewissen Sicherheitsabstand zu den Tieren. Bist Du auch im Privatleben so zurückhaltend?
Ja, das stimmt. Ich bin von Haus aus ein ruhiger Typ, der seine Zeit am liebsten mit der Familie verbringt. Umso schöner, dass ich meine Frau und meine Tochter heute mitnehmen konnte und wir zusammen das Reptilium besuchen. Es ist für mich das A und O, dass die beiden bei mir sind, nur dann fühle ich mich richtig wohl. Wenn wir etwas mehr Zeit haben, kommen wir bestimmt nochmal hier her. Jetzt wissen wir ja, dass wir keine Angst haben müssen. (lacht)
Alles andere als ängstlich wirkst Du auf dem Platz. Wie bist Du zum Fußballspielen gekommen?
Wie wahrscheinlich jeder kleine Junge, bin ich schon ziemlich früh mit meinem Vater und meinem älteren Bruder auf den Bolzplatz gegangen und habe mich dort ausgetobt. Mit acht Jahren bin ich dann von meinem Verein Hertha München zum FC Bayern in die Jugend gewechselt. Dort hat dann alles seinen Anfang genommen, auch wenn ich mir damals niemals ausgerechnet hätte, dass ich einmal Profi werde.
Beim FC Bayern hast Du alle Jugendmannschaften durchlaufen und den Sprung in den Profibereich geschafft. Welche Erinnerungen hast Du an die Zeit beim Deutschen Rekordmeister?
Wenn du in München aufwächst, gibt es nur zwei Vereine und ich weiß noch, wie aufgeregt ich zu Anfang war. Ich habe beim FCB eine super Ausbildung bekommen, auch wenn du bei so einem großen Verein bereits in jungen Jahren größeren Druck verspürst, als bei einem kleineren Verein. Ich weiß noch, wie ich mit 18 oder 19 die ersten Trainingseinheiten bei den Profis mitmachen durfte und neben Luca Toni und Franck Ribéry in der Kabine saß. Stars, die ich damals nur aus dem Fernsehen kannte, die mich allerdings von Beginn an gut aufgenommen haben. Die Zeit bei Bayern war sehr lehrreich und ich konnte dort viel für mein späteres Fußballerleben mitnehmen.
Du sprichst den Druck an, dem jeder Profifußballer mal mehr, mal weniger ausgesetzt ist. Wie gehst Du mit solchen Drucksituationen um?
Ich hatte noch nie Probleme mit Druck umzugehen und gerade im Kampf um den Klassenerhalt wie aktuell beim FCK sollte sich kein Spieler verstecken, sondern mit breiter Brust voran gehen. Da ist egal, wie alt man ist. Ich habe mit meinen 24 Jahren sicher schon gewisse Erfahrungen gesammelt, die mir in solchen Situationen helfen, aber um die Klasse zu halten, müssen alle elf Mann Verantwortung übernehmen und einander helfen. Auch wenn es Angebote von anderen Vereinen gab und ich es mir einfacher hätte machen können, habe ich mich bewusst für Kaiserslautern und damit für den Abstiegskampf entschieden.
Mit dieser kämpferischen Einstellung sprichst Du vielen Lautrer Fans aus der Seele. Was waren letztlich die Gründe für Deinen Wechsel in die Pfalz?
Nachdem ich in der letzten Saison eine sehr gute Phase bei Werder Bremen hatte, folgte zu Beginn der aktuellen Spielzeit ein kleiner Knacks. Ich habe nicht mehr die Spielpraxis bekommen, die ich mir erhofft hatte und hatte deshalb auch schon länger Kontakt mit anderen Vereinen, im Speziellen auch mit dem FCK. Bei den Gesprächen mit Stefan Kuntz und Marco Kurz hatte ich von Beginn an ein gutes Gefühl, wobei mich der Trainer sowohl durch seine fußballerische Kompetenz als auch durch seinen zwischenmenschlichen Umgang überzeugt hat. Der Wohlfühlfaktor spielt für mich eine große Rolle und der war ausschließlich beim FCK gegeben. Der Wechsel war folglich das Beste, was ich für meine weitere Entwicklung tun konnte.
Zudem bist Du jetzt wieder näher bei der Familie, die nach wie vor in München lebt…
Das stimmt. Ein schöner Nebeneffekt meines Wechsels ist die Tatsache, dass ich aufgrund der geringeren Distanz wieder häufiger meine Familie sehen kann und wieder im Süden Deutschlands wohne. Ich habe ja bereits in fast allen Regionen gelebt, durch Duisburg im Westen und durch Werder im Norden. Am wohlsten fühle ich mich aber nach wie vor im Süden, wo ich auch herkomme. Hier herrscht einfach ein anderes Lebensgefühl und ich möchte auch nach meiner Karriere unbedingt wieder nach München zurück und dort ein Café oder ein Restaurant eröffnen.
Während Sandro Wagner noch in Erinnerungen schwelgt, bereitet Uwe Wünstel die nächste Begegnung zwischen einem seiner Reptilien und dem Fußballprofi vor. Der Schlange im Nachthaus kann der 24-jährige Stürmer allerdings nur wenig abgewinnen, zu groß ist der Respekt vor dem Kriechtier, das sich geschmeidig um die Hand des Geschäftsführers wickelt. Also schnell weiter in das Wüstencamp des Reptiliums, wo in großzügig gestalteten Landschaftsterrarien weniger furchteinflößende Echsen auf den Neuteufel warten. So macht der Tross um den FCK-Spieler unter anderem bei Bartagamen halt, die ihre mit spitzen Stachelschuppen besetzte Kehle so aufspreizen können, dass der Eindruck entsteht, die Tiere hätten einen Vollbart. Bei den Chamäleons wird Sandro Wagner sogar so mutig, dass er sich das gelb-grüne Tier auf die Hand setzen lässt. Mit seinen krallenartigen Händchen umgreift das Chamäleon die Finger des Stürmers, dem die Nähe mit der Echse aber schon nach kurzer Zeit nicht mehr ganz so angenehm erscheint. „Ich glaub, es krabbelt hoch. Willst Du es nicht wieder runter nehmen?“, so der gebürtige Münchner zu seinem Gastgeber Wünstel, der das Reptil zurück in sein gewohntes Umfeld setzt.
Wie viele Deiner Mannschaftskollegen beim FCK, hast auch Du zuvor beim MSV Duisburg gespielt, wo Dir der Durchbruch gelang. Eine Zeit, an die Du Dich gerne zurück erinnerst?
Ich bin dem MSV noch heute sehr dankbar, da ich in Duisburg all das bekommen habe, was man als junger Spieler braucht: Spielpraxis, nette Mannschaftkollegen und ein intaktes Umfeld. Unter diesen Bedingungen konnte ich zu einem richtigen Torjäger reifen und wurde schließlich für die deutsche U21 nominiert…
…mit der Du 2009 Europameister wurdest. Ein Traum, der für Dich in Erfüllung ging?
Die Europameisterschaft wird für mich und wahrscheinlich alle, die dabei waren, ein unvergessliches Erlebnis bleiben. Es war zwar nur eine U-Nationalmannschaft, aber ich kann in Worten kaum beschreiben, welch tolle Erfahrung es für mich war, bei der EM dabei zu sein und im Finale zu stehen. Wenn Du für zwei Wochen mit 23 Jungs unterwegs bist, die alle das gleiche Interesse haben, erlebst Du viele lustige Geschichten, die mir noch lange in Erinnerung bleiben werden.
Danach bist Du zu Werder Bremen in die Bundesliga gewechselt. Der richtige nächste Schritt?
Natürlich war das ein großer Sprung, aber ich habe bewiesen, dass ich auch in Bremen mithalten kann. Immerhin habe ich dort auch international Erfahrung sammeln können und mit einem Topstürmer wie Claudio Pizarro zusammengespielt. Mit meinen Toren in der letzten Saison habe ich gezeigt, dass der Schritt nicht zu groß war, dennoch war es jetzt an der Zeit einen neuen Weg einzuschlagen und den Verein zu wechseln.
Der FCK hat Dich als Führungsspieler verpflichtet. Was hast Du Dir für Deine Zeit bei den Roten Teufeln vorgenommen?
Wie ich bereits erwähnt habe, habe ich trotz meiner 24 Jahre schon einiges erlebt und ich möchte diese Erfahrung nutzen, um mit dem Verein die Liga zu halten. Meine ersten Einsätze im Trikot der Roten Teufel sind für mich persönlich gut gelaufen, auch wenn die Punkteausbeute natürlich viel zu gering war und wir viel effektiver werden müssen. Ich jedenfalls werde meinen Beitrag dazu leisten und will Verantwortung übernehmen, vorne weg gehen und alles dafür tun, um dem FCK zu helfen. Das Ziel Klassenerhalt können wir aber nur gemeinsam erreichen und deshalb ist es wichtig, dass wir als Mannschaft auftreten und zusammen mit dem gesamten Verein und den Fans geschlossen für dieses Ziel kämpfen.
Von der Wüste geht es in den Urwald, wo Schlangen und Krokodile heimisch sind. Hinter Glaswänden scheinen die zum Teil sehr gefährlichen Tiere völlig friedlich zu sein, sodass auch Sandro Wagner immer furchtloser wird und Uwe Wünstel mit unzähligen Fragen über die Reptilien und deren Lebensweisen löchert. Zum Abschluss des Rundgangs in der Welt der Urzeittiere geht es in die Wüstenhalle, wo die Nummer elf der Roten Teufel mit einem Verwandten der Strahlenschildkröte in Berührung kommt, die er zu Beginn seines Besuches in der Babystation bewundert hatte. Dabei kann es sich der Mitbewohner des Panzertiers, ein Steppenwaran, nicht entgehen lassen, die Gelegenheit zur „Flucht“ zu nutzen. Uwe Wünstel ist aber schnell zur Stelle und beruhigt den erstaunten Fußballer. „Keine Angst, der macht nichts. Der ist nur neugierig“, worauf der Reptilienexperte den Waran wieder zurück in sein Terrarium setzt und seinen sportlichen Gast um ein Abschiedsfoto bittet. Für den bodenständigen Stürmer eine Selbstverständlichkeit, hat ihm Geschäftsführer Wünstel doch an diesem Vormittag die Angst vor Spinnen, Schlangen und Co. genommen, sodass Sandro Wagner unerschrockener denn je mit dem FCK um den Klassenerhalt kämpfen kann.