Er war ein genialer, begnadeter Fußballspieler. Er hatte alles erreicht, was man als Sportler erreichen kann. Er war mit der deutschen Fußballnationalmannschaft Weltmeister, er war mit seinem 1. FC Kaiserslautern fünf Mal in einem deutschen Fußballendspiel und zwei Mal deutscher Fußballmeister. Er war der erste Ehrenspielführer der deutschen Fußballnationalmannschaft und der erste Ehrenbürger der Stadt Kaiserslautern und des Landes Rheinland-Pfalz. Eine Straße, eine Schule, ein Regionalzug der deutschen Bahn sowie sein Stadion auf dem Betzenberg in Kaiserslautern wurden nach ihm benannt. Er wurde mit Ehrungen und Auszeichnungen überhäuft. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob er in seiner Zeit einer der besten Fußballspieler der Welt war. Seine unzähligen Verehrer, zu denen auch ich mich zähle, glauben dies. Fakt ist, dass er bei allen entsprechenden Umfragen von Sportjournalisten weltweit immer auf den vorderen Plätzen zu finden war.
Er erreichte eine Popularität, wie sie in Deutschland vor ihm im Bereich des Sports vielleicht nur noch Max Schmeling, mit dem er befreundet war, zuteilwurde. Der Historiker Joachim Fest stellte nach dem überraschenden Gewinn der Weltmeisterschaft 1954, also in einer Zeit, in der es noch nicht unbedingt einfach war zu sagen, dass man aus Deutschland kommt, fest: „ Es gibt drei Gründungsväter der Bundesrepublik Deutschland: Politisch ist es Konrad Adenauer, wirtschaftlich Ludwig Erhard und mental Fritz Walter.“ Dies mag übertrieben klingen, aber viele Menschen damals empfanden es so. Neun Jahre nach dem Ende des unseligen Krieges konnten die Deutschen erstmals wieder gemeinsam jubeln. Sie jubelten einer Fußballmannschaft zu, die ihnen wieder einen Teil ihres Selbstwertgefühls zurückgegeben hatten. Die Deutschen spürten, dass es mit eigener Kraft wieder aufwärts gehen kann. Fritz Walter und seine Mannschaft hatten es ihnen ja vorgemacht. Fritz Walter wurde zu einer Person der Zeitgeschichte, ohne es zu wollen.
Sein außergewöhnlicher Lebensweg war geprägt von seinen persönlichen Wesensmerkmalen. Trotz seiner hohen Popularität blieb er immer bescheiden und volksnah. „Nur weil ich einen Fußball halbwegs gerade spielen kann, bin ich doch nichts besonderes“, soll er einmal gesagt haben, als ihm der Rummel um seine Person fast zu viel wurde. Auch nach Beendigung seiner aktiven Laufbahn erreichten ihn noch täglich Unmengen von Briefen und Autogrammwünschen, häufig auch von jungen Leuten, die ihn aufgrund ihres Lebensalters nie haben spielen sehen. Gerade hierüber freute er sich besonders. Gewissenhaft, wie er als gelernter Bankkaufmann nun einmal war, beantwortete er jeden Brief und erfüllte jeden Autogrammwunsch, wobei er seinen Namenszug im Gegensatz zu heutigen Gepflogenheiten fein leserlich schrieb und stets mit einem „Herzlichst“ und dem Datum ergänzte. Dies erwartete er im Übrigen auch von all seinen jeweiligen Mannschaftskameraden.
Als ich das Glück hatte, bei einigen Freundschaftsspielen mit ihm in einer Mannschaft stehen zu dürfen und ich ihn in der Kabine ehrfurchtsvoll mit „Herr Walter“ ansprach, sagte er nur: „Ich bin de Fritz“. Und dabei blieb es bis zu seinem Tod. Wer einmal mit ihm in einer Mannschaft gespielt hatte, ganz gleich, ob in der Nationalmannschaft oder einer Altherrenmannschaft, war und blieb für ihn zeitlebens Mannschaftskamerad. Er selbst wusste am besten, dass er jeweils nur Teil einer jeden Mannschaft war. Er ließ auch die anderen glänzen und stellte sein einmaliges Talent immer in den Dienst der Mannschaft. Schon in seiner Glanzzeit, wenn sich Journalisten vorrangig mit ihm beschäftigten, wies er immer wieder darauf hin: „Vergesst mir die andern nicht. Ohne meine Mitspieler in der Nationalmannschaft und im Verein wäre auch ich nicht so weit gekommen“.
Er verleugnete nie seinen Pfälzer Dialekt, ja er hing an seiner Pfälzer Heimat und den Pfälzern. Und so fiel es ihm letztlich nicht allzu schwer eine Vielzahl hoch dotierter Angebote aus dem In- und Ausland auszuschlagen. Er blieb seiner Heimat, seinem FCK treu und hat dies nie bereut. „Warum soll ich zu einem anderen Verein gehen, ich bin doch schon beim FCK“, war sein Kommentar. Diese Einstellung strahlte auch auf seine Mannschaftskameraden aus. Horst Eckel, langjähriger Mitspieler beim FCK und in der Nationalmannschaft und auch einer der „Helden von Bern“, hat einmal bestätigt, dass für sie in der damaligen Zeit Vereinswechsel schon fast den Anstrich von Vaterlandsverrat hatte. Getreu seinem Vorbild Fritz Walter hat daher auch er ein lukratives Angebot eines englischen Vereins ausgeschlagen.
Der in Speyer geborene und in der Schweiz lebende, weltweit anerkannte Maler Hans Purrmann sah sein erstes Fußballspiel überhaupt im Rahmen der Weltmeisterschaft 1954 auf der Tribüne. Unten spielte auch Fritz Walter. Mitte der zweiten Halbzeit sagte Purrmann „Das ist ein Künstler“. Das geschulte Auge des Malers erkannte in der einmaligen Eleganz des Spiels von Fritz Walter den Bewegungskünstler. Später lernten sich die beiden näher kennen und wurden Freunde, wobei zur Überraschung Purrmanns Fritz Walter sich als großer Kenner der Malerei und des Impressionismus offenbarte und da bereits auch schon einige Werke des Pfälzer Malers sein eigen nennen konnte.
Mit Bundestrainer Sepp Herberger verband Fritz Walter zeitlebens ein fast schon Vater-Sohn-Verhältnis. Diese enge Verbundenheit setzte sich auch nach dem Tode Sepp Herbergers fort. Kurze Zeit davor war die Sepp-Herberger-Stiftung gegründet worden, die sich für karitative Zwecke und besonders für die Resozialisierung von Straftätern einsetzte. Fritz Walter wurde der erste Botschafter dieser Stiftung. Motivation für die Übernahme dieser Aufgabe war seine ihm eigene Mitmenschlichkeit aber auch seine Verbundenheit mit Sepp Herberger, dem „Chef“, wie er ihn immer ehrfurchtsvoll nannte. Bei Besuchen in über 150 Gefängnissen sprach er mit den Insassen über das Leben in unserer Gesellschaft und über die Wiedereingliederung in diese. „Vergesst, was war, und versucht es in Zukunft anders, besser zu machen, Euch über Sportvereine wieder einzugliedern in ein normales Leben, damit Ihr wieder Anschluss findet an die Gesellschaft“, legte er den Gefangenen, überwiegend Jugendlichen nahe.
Als man ihm 1999 antrug, eine eigene Stiftung, die seinen Namen tragen sollte, ins Leben zu rufen, stand er diesem Ansinnen zunächst sehr reserviert gegenüber. Keinesfalls durfte diese neue Stiftung eine Konkurrenz zu der bestehenden Sepp-Herberger-Stiftung sein. Das war er dem „Chef“ schuldig. Erst als man ihn überzeugen konnte, dass die neue Stiftung eine andere Zielrichtung als die Sepp- Herberger-Stiftung bekommen sollte, stimmte er zu. Heute bewahrt die Fritz-Walter-Stiftung das Lebenswerk ihres Namensgebers und führt es fort. Neben der Förderung von talentierten Jugendlichen, insbesondere im Bereich Fußball, soll die Stiftung auch Maßnahmen zur Völkerverständigung mit Hilfe des Sports, Maßnahmen gegen Doping und Dopingmissbrauch, die Förderung des Fairplaygedankens wie auch die Mitwirkung bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit unterstützen. In vielen Projekten hat sie dies in der Vergangenheit mit Erfolg getan.
Wer etwas Einblick in das Privatleben Fritz Walters besaß, wusste wie er seine Frau Italia, mit der er 53 Jahre glücklich verheiratet war, verehrte. Als sie im Dezember 2001 starb, befürchteten viele, dass Fritz Walter diesen Schicksalsschlag nicht überwinden würde. Sie sollten leider recht behalten.
Der Verlust der geliebten Lebensgefährtin, die ihn in einem langen gemeinsamen Leben ohne Skandale oder Gerüchte immer unterstützt hatte, nahm ihm die Lebenskraft. Nur wenige Monate später schlief auch er in seinem Haus in Enkenbach-Alsenborn mit 81 Jahren friedlich ein.