Samstagabend, 6. Oktober 1956, Leipzig. Die Walter-Elf ist zu Gast beim DDR-Meister Wismut. Selbst der Name des ostdeutschen Titelträgers liest sich von Quelle zu Quelle unterschiedlich, denn auf Anweisung der DDR-Sportpolitik sollte kurz zuvor der derzeit so erfolgreiche BSG Wismut Aue nach Chemnitz bzw. Karl-Marx-Stadt, wie die ostdeutsche Stadt von 1953 bis 1990 hieß, verlegt werden. So tauchen in den Berichterstattungen hinter der Bezeichnung Wismut die drei Städtenamen teilweise auch in Kombination auf. Unter Protest muss der Verein zwar „nur“ den neuen Namen Wismut Karl-Marx-Stadt annehmen, darf seine Spiele aber weiterhin in Aue austragen.
Die Begegnung des DDR-Meisters mit der mit den fünf Helden von Bern gespickten Walter-Elf findet aber im deutlich größeren Leipziger Zentralstadion statt – der 1. FC Kaiserslautern hat die Weltmeister Horst Eckel, Werner Kohlmeyer, Werner Liebrich, Ottmar und Fritz Walter im Kader. Die Euphorie um das Spiel ist bereits vor Anpfiff riesengroß, 300.000 bis 400.000 Tickets hätten abgesetzt werden können – auch zusätzliche Tribünen können die Lust auf hochklassigen Fußball im deutschen Osten nicht stillen. Das Hotel der Gäste aus der Pfalz wird von Fußballbegeisterten nahezu belagert, Fritz Walter soll Berichten zufolge am Anreisetag den Lautrer Tross verpasst und den Weg alleine per Zug auf sich genommen haben. Dabei sei er statt mit zu erwartenden Schwierigkeiten am Grenzübergang mit Autogrammwünschen von Volkspolizisten und einem Sonderbeifall bei der Zugeinfahrt im Leipziger Hauptbahnhof empfangen worden.
Letztendlich finden an einem verregneten Oktobersamstag über 100.000 Menschen auf den Rängen Platz, teilweise wird von bis zu 120.000 Zuschauern berichtet – eine wahrlich beeindruckende Kulisse für ein Freundschaftsspiel. Die Ekstase um das Ost-West-Duell ist ungebremst, sodass später die Rheinpfalz der Partie zuschreibt, „den Eisernen Vorhang so spontan durchbrochen zu haben“. Wismut erzielt die 1:0-Führung, der FCK antwortet durch glänzend aufgelegte Walter-Brüder gleich mit vier Toren, kassiert dann aber vor dem Halbzeitpfiff noch zwei Gegentreffer, sodass die Roten Teufel zur Pause mit 4:3 führen. Noch imposanter als die torreichen ersten 45 Minuten ist aber der Treffer zum zwischenzeitlichen 3:1, über den heute noch gesprochen wird.
Beim Stand von 2:1 attackieren die Roten Teufel über die rechte Seite, dann folgt eine Hereingabe von außen – lange Zeit ungeklärt sind Schütze und Hergang der Flanke. Zeitweise wird die Vorarbeit Norbert Wodarzik zugesprochen, der einen Freistoß nahe der Eckfahne hereingebracht haben soll. Andere Quellen rechnen Erwin Scheffler den Scorerpunkt zu, allerdings greift der Rechtsaußen erst in der zweiten Hälfte ins Spielgeschehen ein. Schließlich klärt Ottmar Walter die Situation auf: er selbst habe seinen Bruder per Ecke bedient, die das Jahrhunderttor ermöglicht.
Eine brüderliche Co-Produktion von „Ottes“ und Fritz also, die den restlichen Spielverlauf verblassen lässt und das Publikum in Staunen versetzt. Eine Aktion, die die Stadionbesucher so noch nicht erlebt haben und vermutlich so schnell nicht mehr erleben werden: Die Ecke senkt sich hinter Fritz Walters Rücken, der 35-jährige Kapitän beweist Handlungsschnelligkeit und Beweglichkeit, als er sich in den Handstand wirft und den Ball kurzerhand per Hacke in Richtung Tor bugsiert. Im hohen Bogen fliegt die Kugel über die ostdeutschen Verteidiger hinweg und landet unhaltbar im oberen Winkel des Wismut-Kastens. Der Treffer zum 3:1 – ein Tor für die Ewigkeit, das den 5:3-Endstand für die Gäste zur Nebensache werden lässt.
Zum 60. Jahrestag blicken wir zurück und verneigen uns. Vor einem ausgezeichneten Fußballer und vorbildlichen Menschen, der den 1. FC Kaiserslautern wie kein zweiter geprägt und den Fußball in Deutschland maßgeblich beeinflusst hat. Danke Fritz – für deine Verdienste für die Roten Teufel und für ein Tor, das samt seiner Umstände die Fußballwelt ins Schwärmen bringt. Fritz-Walter-Wetter, Rekordkulisse, die verbindende Kraft des Fußballs und ein Kunstschuss für die Ewigkeit – eine Geschichte wie aus dem Drehbuch eines Fußballromantikers, aber eben tatsächlich so passiert. Und genau deshalb ziehen wir den Hut vor einem 3:1, das vor sechs Jahrzehnten genau wie heute und in 60 Jahren für Gesprächsstoff sorgt. Chapeau, Fritz!