Ebenso sensationell wie das mit dem Absatz über den Kopf hinweg erzielte Tor ist die Tatsache, dass dieses Spiel zwischen dem Fußballmeister der DDR und dem Deutschen Meister von 1951 und 1953, in dessen Reihen fünf Weltmeister von 1954 standen, von den sonst auf Abgrenzung gegenüber dem Westen bedachten DDR-Behörden überhaupt genehmigt wurde. Um die Bedeutung dieses Spiels richtig einschätzen zu können, muss man sich die Situation des Jahres 1956 in Erinnerung zurückrufen.

In der Sowjetunion hatte drei Jahre nach dem Tod Josef Stalins die unter Parteichef Chruschtschow eingeleitete „Entstalinisierung“ begonnen und nach außen wurde die wohlklingende These von der neuen „Politik der friedlichen Koexistenz“ der Länder propagiert, doch immer wieder drangen beunruhigende Nachrichten über brutale Unterdrückungsmaßnahmen gegen demokratische Bestrebungen (zum Beispiel in Tiflis) aus dem Ostblock über den „Eisernen  Vorhang“. Im Herbst 1956 sollte es schließlich in Ungarn zu dem von sowjetischen Truppen und Panzern blutig niedergeschlagenen Volksaufstand gegen das kommunistische Regime kommen.

In der Bundesrepublik Deutschland war im Jahr zuvor aus Freiwilligen eine neue Armee gegründet worden, die Bundeswehr, 1956 folgte das Wehrpflichtgesetz, während im Osten die ebenfalls neue „Nationale Volksarmee“ der DDR bei diversen Anlässen propagandistischer Art in der Öffentlichkeit aufmarschierte. Die Schreckensvorstellung, dass bei einem bewaffneten Konflikt nun Deutsche auf Deutsche schießen müssten, war damals allgegenwärtig.

Ein weiterer Gefahrenherd kulminierte im Nahen Osten mit der Suez-Krise. In dieser Zeit des Kalten Krieges gab es dennoch Persönlichkeiten, die auf die Verständigung durch den Sport, den Fußball, über Grenzen und den Eisernen Vorhang hinweg setzten – und so kam das deutsch-deutsche Spitzenspiel zwischen Wismut Karl-Marx-Stadt und dem 1. FC Kaiserslautern zustande.

In Wirklichkeit handelte es sich bei Wismut Karl-Marx-Stadt um den SC Wismut Aue, dessen Spielbetrieb (nicht zuletzt aus propagandistischen Gründen) nach Chemnitz (damals Karl-Marx-Stadt) verlegt werden sollte. Doch die Anhänger von Wismut Aue protestierten heftig und die Bergarbeiter drohten sogar mit Streik und erreichten, dass die „Betonköpfe“ der Partei erlaubten, die Spiele von Wismut weiterhin im Auer „Otto-Grotewohl-Stadion“ stattfinden zu lassen.

Das Grotewohl-Stadion erschien angesichts des gewaltigen Interesses an der bevorstehenden Begegnung mit der Walter-Mannschaft mit seinen 20.000 Plätzen als zu klein und so fand das Spiel im erst kurz zuvor eingeweihten Zentralstadion in Leipzig statt. Am Abend der Begegnung drängten sich deutlich mehr als 100.000 Zuschauer in das riesige Oval, die Schätzungen schwanken zwischen 110.000 und 120.000 Besuchern.

Beim Grenzübertritt erlebten die Spieler des 1. FC Kaiserslautern weniger angenehme Begegnungen mit dem Grenzpersonal der DDR – selbst einige Fußballzeitschriften sollen konfisziert worden sein – aber der Empfang durch Tausende von Menschen vor dem Hotel in Leipzig übertraf an Begeisterung und Herzlichkeit alle Erwartungen. Trotz etlicher Maßnahmen der Stasi, für die DDR unbequeme Kundgebungen zu vermeiden, schwebte der Geist der Zusammengehörigkeit über dem Platz. Und so war es auch beim Einmarsch der beiden Mannschaften in das Stadion: Fritz Walter und seine Mannschaft wurden wie bei einem Heimspiel gefeiert und bejubelt. Von den fünf Weltmeistern des FCK konnte Werner Liebrich wegen einer Verletzung das Spiel leider nicht bestreiten und er wurde durch Horst Eckel ersetzt, dem die beiden jungen Nachwuchstalente Werner Mangold und Heiner Bauer in der Läuferreihe zur Seite standen. Der spätere FCK-Trainer Dietrich Weise fragte sich angesichts der Begeisterung und des Hypes um Fritz Walter und seine Roten Teufel, ob die DDR-Spieler denn gar nichts gelten würden. In der Tat spielte auch Wismut einen vorzüglichen Fußball und hatte mehrere DDR-Auswahlspieler in seinen Reihen: Erler, Tröger, Kaiser, Wolf und Burgfried Müller. Dem Angriffswirbel des FCK mussten sie sich aber schließlich mit 3:5 geschlagen geben.

Das Spiel der Lauterer wurde hinterher in der DDR-Presse (ausgenommen einige voreingenommene SED-Parteiorgane) fair und anerkennend gelobt – und natürlich fand eine Szene ganz besondere Erwähnung. Fritz Walter selbst schilderte, wie er einen Flankenball seines Bruders Ottmar mit dem Kopf nicht mehr erreichen konnte und sich gedankenschnell nach vorne warf, die Beine hochriss, den Ball mit dem Absatz unhaltbar unter die Latte des Wismut-Tores donnerte und sich mit den Händen auf dem Boden abgefangen hat.

Der Beifall für dieses sensationell erzielte Tor war unbeschreiblich und dieser Treffer gilt seither als eine Art Markenzeichen für Fritz Walters Fußballkunst. Das Jahr 1956 war reich an Ereignissen unterschiedlichster Art – da kamen die ersten Gastarbeiter aus Italien in die Bundesrepublik Deutschland, in Monaco heiratete Fürst Rainier III. die amerikanische Hollywood-Schauspielerin Grace Kelly, das Saarland gehörte offiziell wieder zu Deutschland, die ersten beiden Folgen der Film-Trilogie „Sissi“ lockten Millionen Besucher in die Kinos und unter der Leitung von Schiedsrichter Albert Dusch vom 1. FC Kaiserslautern gewann Borussia Dortmund das Endspiel um die deutsche Fußballmeisterschaft gegen den Karlsruher SC.

Der 1. FC Kaiserslautern hingegen ist sehr stolz, dass er vor 60 Jahren mit dem erfolgreichen Auftritt im Leipziger Zentralstadion und dem großartigen Hackentor seines Kapitäns Fritz Walter ein glänzendes Stück deutsch-deutscher Fußballgeschichte schreiben konnte.

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