Doch daraus zu schließen, dass der 27-Jährige ein unbeschwerter Bruder Leichtfuß wäre und stets unbekümmert durch die Lande zieht, wäre vorschnell und würde dem gebürtigen Ostwestfalen nicht gerecht. Der Gefühlsmensch Amedick ist im steten Dialog mit seinem Kopf. Er analysiert, wägt ab und trifft Entscheidungen – manchmal mit dem Herzen und manchmal mit dem Kopf. So wie man es sich von einem Führungsspieler nur wünschen kann – ein echter Kapitän eben.
Zum Portrait für „In Teufels Namen“ zieht es uns in die Vorderpfalz. In den Vorgesprächen machte Martin Amedick deutlich, dass er sein Portrait gern in einem Rahmen sähe, der wirklich etwas über ihn aussagt. Neben seiner Leidenschaft für alte Käfer Cabriolets weiß er sich auch bei einem guten Kaffee zu entspannen. Eine professionelle Kaffeemaschine für beinahe alle Spielarten des koffeinhaltigen Heißgetränks nennt die Familie Amedick ihr Eigen und viele verschiedene Bohnensorten testen er und seine Frau Annika regelmäßig mit großer Begeisterung aus. „Ein guter Espresso oder Capuchino ist für mich ideal, um zu Relaxen und etwas zur Ruhe zu kommen“, erzählt der Blondschopf und fügt hinzu, „Ich genieße es, mit meiner Frau oder Freunden zusammen zu sitzen und bei einem Kaffee über alles möglich zu sprechen. Das sind Momente mit echter Lebensqualität.“
Also führt unser Weg zu BlankRoast, einer ökologisch zertifizierten Kaffeemanufaktur in Bad Dürkheim. Dort wird der Abwehrchef der Roten Teufel von Dorothe und Holger Blank empfangen, die seit 2003 in einem Spezialröstverfahren Kaffeebohnen rösten. Aufmerksam wurde Martin Amedick auf BlankRoast, als ihm ein Artikel über die besondere Rebenholzröstung des Unternehmens in die Hände geriet. „Das hörte sich interessant an und schien mir etwas ganz individuelles zu sein, also wollte ich das gern mal genauer kennenlernen.“ Zur Begrüßung wird ihm natürlich erst einmal ein frischer Espresso gereicht und in der milden Frühlingssonne genießt er den würzigen Schluck.
Den Fußballer Martin Amedick gibt es seit frühesten Kindertagen. „Der Ball war eigentlich immer dabei“, erinnert sich Martin. Schmunzelnd fährt er fort, „Ich habe aber auch schon als Kind das eine oder andere Buch gelesen – meine ich mich eigentlich zu erinnern.“ Bei den Minikickern des Delbrücker SC beginnt seine aktive Laufbahn und von dort verschlug es ihn zum SC Paderborn 07. Mit knapp 16 Jahren streckt die Arminia aus Bielefeld ihre Fühler nach ihm aus und er wechselt auf die Alm. Auf die Frage, ob er schon immer als Innenverteidiger aufgelaufen ist, winkt er lachend ab. „Ich war sogar schon Stürmer. In der A-Jugend bei Bielefeld habe ich das auch gespielt und gar nicht so unerfolgreich. Im Zentrum habe ich schon alles gespielt, offensives und defensives Mittelfeld, Stürmer und seit einigen Jahren in der Abwehr. Ich denke, das liegt mir am Besten.“
Unterdessen gibt Holger Blank dem Profisportler einige Hintergrundinformationen rund um Kaffeebohnen und Anbau im Allgemeinen sowie seine Rösterei im speziellen. Martin fragt nach. Ist beharrlich, interessiert und auf den Punkt bei der Sache. Er erfährt, dass es zwei Grundsorten der Kaffeepflanze gibt. Arabica und Robusta. Während der Arabica auch Bergkaffee genannt wird, weil er bevorzugt in hohen Landstrichen angebaut wird, wird Robusta-Kaffee zumeist im Flachland angebaut. Diese Sorte ist widerstandsfähiger gegen Krankheiten, Hitze und Nässe als Arabica. Martin kostet einen weiteren Espresso und lässt sich vom Röstmeister erklären, worauf er zu achten hat. „Der Kaffee entwickelt Säurearomen und durch ein Schlürfen, ähnlich wie bei der Rotweinverkostung, gelangt Sauerstoff dazu und die Geschmacksaromen werden freigesetzt“, erklärt Blank. Ob es denn in Ordnung wäre, den Espresso mit Zucker zu trinken, fragt Martin nach und erfährt, dass Zucker und Fette die Aromen transportieren und unterstützen. Daher empfiehlt sich sogar einen guten Zucker zum Kaffeegenuss.
In Bielefeld kam der gebürtige Paderborner im September 2003 zu seinem ersten Profieinsatz. Gerade 21 Jahre alt geworden wurde er bei der Zweitligapartie der Arminia in Regensburg in der Schlussviertelstunde eingewechselt. Natürlich ein besonderes Erlebnis für den Abiturienten, es sollte aber leider der einzige Einsatz in der Profimannschaft für Bielefeld bleiben. „Also habe ich mich entschlossen, die Arminia zu verlassen und nach Braunschweig zu wechseln“, führt Martin Amedick aus, „Auf den ersten Blick sah es vielleicht wie ein Rückschritt aus, in die dritte Liga zu wechseln. Aber ich bin dadurch mehrere Schritte voran gekommen. Ich habe regelmäßig gespielt, wir sind aufgestiegen und ich habe mich wesentlich weiterentwickelt.“
Martin will die Zeit bei Eintracht Braunschweig nicht missen, denn neben dem sportlichen Erfolg, erarbeitete er sich einen Stammplatz, wurde mit jungen Jahren Führungsspieler und erweckte die Aufmerksamkeit der Späher von Borussia Dortmund. Hatte er als kleiner Junge noch auf der Südtribüne den Gelb-Schwarzen zugejubelt, so sollte er nun die Chance bekommen, auf dem Rasen des Westfalenstadions aufzulaufen und einen Kindheitstraum zu erfüllen. Direkt im ersten Heimspiel der Saison 2006/07 läuft er erstmals für den BVB auf und krönt eine solide Leistung mit einem Kopfballtreffer eine Viertelstunde vor Schluss. Ab dem achten Spieltag hat er sich einen Stammplatz erarbeitet, doch zur Rückrunde muss er wieder mit der Rolle des ersten defensiven Einwechselspielers vorlieb nehmen. Martin greift in der folgenden Saison erneut an, ist vom 14. bis zum 24. Spieltag Stammspieler doch wird danach nur noch zwei Mal eingewechselt. Vom Trainerwechsel erhofft auch er sich eine positive Entwicklung, doch der aus Mainz nach Westfalen wechselnde Jürgen Klopp bedeutet ihm, dass er nicht mit ihm plane. „Ich habe zwei tolle Jahre in Dortmund verbracht und besondere Menschen kennen gelernt. Von Christian Wörns habe ich auf und neben dem Platz viel gelernt, mit Nelson Valdez habe ich noch immer engen Kontakt und auch Sebastian Kehl oder Christoph Metzelder sind Persönlichkeiten, an die ich gern zurückdenke und die ich gern wiedertreffe“, führt Martin aus.
Er trifft Stefan Kuntz, der ihn gern zum 1. FC Kaiserslautern lotsen möchte. Das Konzept des Vorstandsvorsitzenden überzeugt den großgewachsenen Abwehrspieler und er will die Herausforderung annehmen, den FCK wieder in die Bundesliga zu bringen. „Wieder sahen einige darin einen Rückschritt, aber bei einem großen Verein wie dem FCK ein Projekt zu starten und als Führungsspieler mitzuhelfen, einen Traditionsverein wieder nach oben zu bringen, das war eine Herausforderung, der ich mich gerne gestellt habe. Zumal Stefan Kuntz mich mit seiner Vision und seiner Strategie überzeugt hat.“ Bei seiner Vorstellung macht er aus seinen Ambitionen keinen Hehl und gibt als Ziel einen Aufstieg innerhalb seiner Vertragsdauer vor. Für drei Jahre hat er auf dem Betzenberg unterschrieben und sich die Bezeichnung „Führungsspieler“ auf und neben dem Platz hart erarbeitet. Als logische Konsequenz wurde er zur laufenden Spielzeit zusammen mit Srdjan Lakic zum Mannschaftskapitän ernannt. „Wir sind ein starkes Kollektiv und leben zu einem großen Teil vom Zusammenhalt“, erklärt er seine Funktion, „Wir unternehmen viel, sprechen viele Dinge an und stärken das Gemeinschaftsgefühl. Als Kapitän bist du Ansprechpartner besonders für die jungen Spieler und vertrittst zudem die Belange der Mannschaft gegenüber dem Trainer.“
Ein großer Sack mit Kaffeebohnen steht nunmehr bereit. Als Martin an den Bohnen riecht, verzieht er das Gesicht: „Nach Gras oder Heu riecht das, aber nicht nach Kaffee…!“ Holger Blank weiß ihn zu beruhigen, denn der typische Kaffeegeruch entsteht erst beim Rösten der Bohnen. Eine biologisch angebaute Kaffeebohne aus Brasilien soll Martin heute rösten. Aus einem 1.200 Meter hohem Vulkankrater stammt der noch grüne Kern der Kaffeekirsche und der Fußballprofi darf die erste Charge höchstpersönlich rösten. Bei 200 Grad werden 15 Kilogramm in die feuerrote Röstapparatur gegeben und für 20 Minuten unter ständiger Bewegung geröstet. Wie eine Lostrommel rattert die Maschine, während das Ehepaar Blank sich zusammen mit den rührigen Mitarbeitern um den Fußballprofi kümmert.
Auf dem Platz geht Martin Amedick stets voran. Zuverlässiger Leistungsträger im Abwehrzentrum, Torschütze und Dirigent ist er, der nach jeder Trainingseinheit Zusatzschichten fährt und mit den Kollegen Sascha Kotysch oder Jiri Bilek technische Feinarbeit leistet. „Früher habe ich noch mehr gemacht und ständig versucht, mich technisch oder körperlich voranzubringen. Rückblickend glaube ich, damit manchmal zu viel Druck aufgebaut zu haben. Ab einem bestimmten Niveau wird die Leistung mehr und mehr zur Kopfsache!“ Kraft schöpfen und zur Ruhe kommen, dass verbindet Martin Amedick mit dem Genuss eines guten Kaffees. Selten trinkt er aber allein Kaffee. „Meist mit Freunden oder meiner Frau, denn ich mag die intensiven Momente und guten Gespräche, zu denen eine leckere und schmackhafte Tasse Kaffee einlädt.“
Mit dem FCK steht Martin Amedick am Ende einer außergewöhnlich erfolgreichen Saison. Mit der jüngsten Mannschaft im bezahlten Fußball ist es ihm und seinen Mitstreitern gelungen, erfolgreichen und attraktiven Fußball zu spielen. Noch ist die Spielzeit nicht beendet und sind die Plätze nicht vergeben, aber ein wenig Stolz schwingt schon mit, wenn Martin sagt: „Wir spielen eine sehr konstante Saison und haben bisher nur wenige schlechte Auftritte gehabt. Das ist der Verdienst von Spielern, Trainer, Betreuern und dem gesamten Verein gleichermaßen. Die Art wie der Trainer mit uns arbeitet, die Spieler einstellt und voranbringt, in die Mannschaft hineinhorcht und Entscheidungen trifft, ist ein ebenso wichtiger Teil, wie das funktionierende Kollektiv innerhalb des Teams. Jeder ist für jeden da und jeder will sich verbessern.“
Auch neben dem Platz hat sich im vergangenen Jahr einiges für Martin Amedick getan. Er engagiert sich für die Krebsgesellschaft Rheinland-Pfalz in der Aktion „Mama/ Papa hat Krebs“ und verbringt mit den Kindern Krebskranker Eltern viel Zeit, um ihnen abseits des häufig gestörten Alltags besondere Erlebnisse zu vermitteln. Zudem ist er Vorstand des unlängst für gleichen Zweck gegründeten Vereins und hilft, die dringend benötigten Spendengelder für den Fortbestand der Aktion aufzutreiben. „Es ist immer wieder bewegend, wie viel Freude man mit einem Besuch beim Kindergeburtstag oder einer Führung durchs Fritz-Walter-Stadion erzeugen kann. Ich sehe mich da als Fußballprofi auch in der Verantwortung, etwas zurückzugeben“, erklärt er sein Engagement.
Nun ist der Röstvorgang beendet und die Bohnen müssen abkühlen. Holger Blank erklärt seinem Auszubildenden Amedick den Röstvorgang mit Rebenholz: „Kleine Holzstückchen aus Rebenholz geben wir hinzu. Diese haben eine andere Feuchte. Das Holz wird erwärmt und strahlt Feuchtigkeit ab“, führt er aus, „Diese Aromen gehen auf die Kaffeebohnen über.“ „Wie sind Sie denn darauf gekommen“, fragt Martin interessiert. „Wenn wir Kaffee wie alle machen würden und uns einreihen, dann ist es schwer, Erfolg zu haben“, erklärt Holger Blank und seine Frau nickt zustimmend, „Wir wollten mehr Aromen, wollten etwas Besonderes.“
Der Kaffee wird serviert. „Höllisch & teuflisch“ soll die Bohne schmecken. Der Röstmeister tauft sie auf dem Namen „Ame“ und schlürft prüfend das dunkel dampfende Getränk. Zufriedenes Nicken. „Würzig“, meint Martin. „Mit einer Spur Schokolade“, fügt Holger Blank hinzu. Man ist zufrieden. Ob so viel Kaffee für einen Leistungssportler gut sei, fragt Dorothe Blank. „Natürlich kann ich nicht den ganzen Tag Espresso oder Capuchino trinken, das muss man schon gut dosieren, aber wenn ich schon mal hier bin…“, sagt Martin Amedick lachend. Sein Lachen ist ansteckend und auch die anwesenden Medienvertreter stimmen ein. Martin und der Röstmeister verteilen die frisch gerösteten und verpackten Bohnen an die Gäste. Der Fußballprofi wirkt gelöst und dennoch konzentriert. Als er sich von seinen Gastgeber verabschiedet, kommt sein Credo in Erinnerung: Alles Kopfsache und doch immer mit dem Herzen dabei.