Juni 1940. Seit zehn Monaten tobt in Europa der Zweite Weltkrieg. In Blitzkriegen erobert Hitlers Wehrmacht Polen, besetzt Dänemark und Norwegen und bringt die Niederlande, Belgien, Luxembourg und Frankreich unter deutsche Herrschaft. Im französischen Compiegne diktiert Hitler der französischen Abordnung seine Waffenstillstandsbedingungen – der Westfeldzug ist zu Ende, in Deutschland wird mit Glockengeläut und Festbeflaggung der Sieg gefeiert, viele Deutsche sind überzeugt, Hitler würde mit seinem "Friedensappell an Großbritannien" Erfolg haben und den Kriegszustand mit dem Vereinigten Königreich ebenfalls beenden.

In Kaiserslautern marschieren Truppen der siegreichen Wehrmacht durch einen Triumphbogen in der Pariser Straße zurück in ihre Garnison. Kaum wahrgenommen wird in diesen Tagen nationalistischen Überschwanges und ehrlicher Friedenshoffnung der Protest von Geistlichen gegen die inhume Euthanasie – Politik des Dritten Reiches, gerichtet an den aus der Pfalz (Alsenz) stammenden NS – Innenminister Dr. Wilhelm Frick. Vergebens – die Vernichtungsaktion "unwerten Lebens" läuft vorerst weiter.
 
In diesen bewegenden Tagen wendet sich Reichstrainer Sepp Herberger in einem vom 27. 06. 1940 datierten Brief an Felix Linnemann, den früheren DFB – Vorsitzenden und jetzigen Leiter des Fachamtes Fußball im ‚NS – Reichsbund für Leibesübungen‘, in dem er ihm seine Vorschläge für die Mannschaftsaufstellung bezüglich des für den 14. Juli geplanten Länderspieles in Frankfurt bekannt gibt. Geschickt macht Herberger Linnemann darauf aufmerksam, dass er wegen der von ihm ins Auge gefassten "Wunschelf" bereits mit Reichssportführer von Tschammer und Osten gesprochen und dessen Zustimmung für seine personellen Vorstellungen erhalten habe.

In der Liste der von Sepp Herberger umgehend verständigten Spieler – einige der Kandidaten können nur über ihre Militärdienststellen erreicht werden – taucht erstmals ein gewisser "Fritz Walter" vom 1. FC Kaiserslautern auf. Karl Hohmann hatte im Jahr zuvor den Reichstrainer auf das einzigartige Talent Fritz Walter aufmerksam gemacht und Herberger war seit der ersten Begegnung mit ihm von dessen künftiger Bedeutung für die Nationalmannschaft überzeugt.
 
Fritz Walter hat oft erzählt, wie ihm eines Vormittags seine Mutter einen ihr wichtig erscheinenden Brief mit dem Absender "Sepp Herberger" in die Stadtsparkasse brachte. In einer stillen Minute öffnet Fritz das Schreiben und erfährt so von seiner Einladung zum Länderspiel gegen Rumänien am 14. 07. 1940 in Frankfurt. Der Brief enthält auch die kleine Mahnung, das Kopfballspiel weiter zu verbessern: "Fußball wird nicht nur auf dem Boden gespielt."
 
Die von Sepp Herberger eingeleiteten organisatorischen Vorbereitungen zu diesem Länderspiel weisen direkt und indirekt auf die Kriegszeit hin. So sollte der Treffpunkt der Nationalspieler in Wiesbaden sein, einem Ort, der bisher "von Fliegerangriffen verschont geblieben" war. Bezeichnend ist auch das Anfordern einer "Sonderzuteilung von Lebensmitteln für unsere Mannschaft durch die Stadt Frankfurt" für das Wochenende des 13. und 14. Juli.
 
Am 14. Juli finden sich 45 000 Zuschauer im Frankfurter Stadion ein und werden Zeuge des ersten Länderspielauftritts Fritz Walter, der zu diesem Zeitpunkt 19 Jahre alt ist. Alles, was Sepp Herberger von seinem Schützling erwartet, vermag dieser auf dem Rasen umzusetzen: Er initiiert Angriffe, spielt seine Sturmkameraden vorbildlich frei und erzielt selbst drei Tore. Ein viertes Tor Fritz Walters wird wegen Abseitsstellung nicht anerkannt. Die Presse bezeichnet den 9 : 3 – Erfolg über Rumänien als "sensationell" und nicht nur die wohlwollende Lokalpresse, sondern auch Fachzeitschriften überschütten den jungen Kaiserslauterer Stürmer mit Lob. Auf Anhieb ist Fritz Walter Stammpieler der deutschen Nationalmannschaft geworden.
 
Die in dieser Länderspielwoche im Deutschen Reich vorherrschende Friedenshoffnung sollte bald bitter enttäuscht werden: Großbritannien weist Hitlers Vorschläge zurück, die Luftschlacht um England beginnt, der europäische Krieg weitet sich zum Weltkrieg aus und richtet Verwüstungen ungeahnten Ausmaßes an. Ab dem Herbst 1942 sind deshalb keine Länderspiele mit deutscher Beteiligung mehr möglich. Bis zu diesem Zeitpunkt hat Fritz Walter, der glänzende Techniker, Regisseur und Vollstrecker, 24 Spiele in der Nationalmannschaft absolviert. Es sollte mehr als acht Jahre dauern, bis er zu seinem 25. Länderspiel würde auflaufen können, Jahre mit für Fritz Walter dramatischen und schicksalhaften Wendungen. Doch gerade in den nachfolgenden Fünzigerjahren hat seine große Karriere ihre einzigartige Krönung erfahren.

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